„Vor 1933 war Hedwig Wörmann eine gesunde und lebensfreudige Frau. Durch das schwere Leid, dass ihr durch den Nationalsozialismus zugefügt wurde, hat sie schwer gesundheitlich gelitten.“ (Paul Aude)
In dieser ersten Spur schildern wir das Leben und das Leiden von Hedwig Wörmann in den Jahren 1933 bis 1945, als Ehefrau eines „führenden Funktionärs der Widerstandbewegung“. Im zweiten Teil erinnern wir an ihren jahrelangen Kampf nach 1945 um Anerkennung als “Opfer des Nationalsozialismus” und um materielle und finanzielle “Wiedergutmachung”.
“Wie aus den Akten nachweisbar zu ersehen ist mein Mann, Hermann Wörmann, des Öfteren verhaftet worden und am 15.9.1944 hingerichtet worden. Gesamthaft 40 Monate. Mein Mann war führender Funktionär der Widerstandsbewegung und stand als solcher unter dauernder polizeilicher Kontrolle, besonders da er als Antifaschist vor 1933 schon bekannt war.“ (StArchBi, Best. 409,3, Nr. A 238)
Laut Paul Audes „eidesstaatlicher Erklärung“ aus dem Jahre 1950 war Hedwig Wörmann vor der Machtübernahme durch die NSDAP eine „gesunde und lebensfreudige Frau“ – Maria und Paul Aude waren Nachbarn der Wörmanns in einer Siedlung der „Freien Scholle“ im „5. Kanton“, einem Bielefelder Arbeiterviertel im Osten der Stadt. Beide Frauen teilten dasselbe Schicksal, ihre Männer kämpften im Widerstand gemeinsam gegen das Naziregime.
Um zu verstehen, was Hedwig Wörmann während der NS-Diktatur erlitten hat, ist es Voraussetzung, sich mit dem Leben ihres Mannes in dieser Zeit zu befassen. Nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933 wurde auch Herman Wörmann, wie tausende Kommunisten und Sozialdemokraten von Polizei, SA und später Gestapo verfolgt. Von diesem Zeitpunkt an bis zu seinem Tod im September 1944 bestimmte die Sorge um das Leben und die Gesundheit ihres Mannes Hedwigs Alltag.
Ab Ende Juli 1943 begann für sie „eine ungeheuer schwere Zeit.“ Ihr Mann musste nach seiner zweiten Verhaftung in Untersuchungshaft im Polizeigefängnis in Bielefeld auf seinen Prozess vor dem Volksgerichtshof warten. Auch die Zeit nach der Verkündigung des Todesurteils bis zur Überführung zur Hinrichtung nach Dortmund verbrachte Hermann zwangsläufig in einer Gefängniszelle in der Turnerstraße.
Hedwig war allein in ihrer Wohnung in der Althoffstraße, ihr Mann im Gefängnis, der einzige Sohn als Soldat an der Ostfront (laut Urteilsbegründung des Volksgerichtshofes). Auf diesem Zeitraum bezieht sich ihr Brief aus dem Jahre 1951:
„[…] Die ewigen Hausdurchsuchungen, welche auch während der Haft meines Mannes immer wieder durchgeführt, sowie die dauernden Vernehmungen durch die Gestapo waren doch wohl nicht gesundheitsfördernd und die Beschränkung der Freiheit einem haftähnlichen Zustand sehr nahe kommt.
Mein Mann wurde zum letzten mal verhaftet am 21. Juli 1943 und 15.9.1944 hingerichtet. Diese Haftzeit war für mich ungeheuer schwer, dass sie nicht zu beschreiben ist. Täglich, an manchen Tagen sogar mehr als einmal war die Gestapo (die berüchtigten Beamten Kaufmann und Siekmann) in meiner Wohnung. Oft kamen diese sogar Nachts, im betrunkenen Zustand an und haben wie die Wilden gehaust.
Ich bin der Meinung, dass mancher Gelegenheitstäter im Gefängnis nicht so hat leiden müssen als wir Frauen.“
Nach Ende des Krieges ab Oktober 1949 musste sich der frühere Bielefelder Gestapo-Kriminalsekretär Karl Kaufmann wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vor hiesigen Gerichten verantworten Die Historiker Dieter Begemann und Bernd J. Wagner beschreiben sein „Wirken“ während der Zeit des NS-Regimes: Unter Bielefelder Arbeitern hatte Kaufmann den Ruf eines ‚Gestapo-Henkers‘. Die Zeugen, die vom Gericht nach seinen Vernehmungspraktiken gefragt wurden, berichteten von Schlägen, Tritten in das Gesicht und Bedrohungen mit der Pistole. (vgl. Begemann 1988, S. 72).
„Kaufmanns „Spezialmethode“ war aber nicht die körperliche Gewalt, dafür waren ganz andere Gestapo-Schergen bekannt. Kaufmann setzte vielmehr psychische Zwangsmittel ein. In den Verhörzellen drohte er regelmäßig, die Ehefrauen zu verhaften, stets mit dem Hinweis, dass diese die Verhöre kaum überstehen würden. […]
Witwen von hingerichteten Arbeitern berichten unter Tränen von ihren Besuchen im Polizeigefängnis Turnerstraße und den letzten Begegnungen mit ihren Männern, deren erbärmlicher Zustand auf Verhörmethoden Kaufmanns zurückzuführen sei.“ (Wagner 2021, S. 7)
Kaufmann wurde im April 1954 im Revisionsverfahren vom Schwurgericht in Bielefeld freigesprochen. – Unsere Recherche nach Julius Siekmann dem zweiten Gestapomann, der an den Haudurchsuchungen beteiligt war, blieb bisher erfolglos.
Hedwig Wörmann, geborene Koring, wurde am 25. Juni 1901 als drittes von drei Kindern in Bielefeld-Heepen geboren. Nach dem Besuch der Volksschule nahm sie eine Beschäftigung als Näherin in einem Herrenkonfektionsgeschäft an. Diesen Beruf übte Hedwig Wörmann bis zu ihrer Heirat mit Hermann Wörmann im Jahre 1923 aus. Ihr einziger Sohn Herbert geboren am 4. Juni 1923, war 1943 Soldat an der Ostfront, galt ab 1945 als „vermisst“ und wurde vom Landgericht Bielefeld erst am 15. März 1957 für tot erklärt. Nach Angaben der Enkel ihres Schwagers ist Herbert mutmaßlich beim Untergang der „Wilhelm Gustloff“ am 30. Januar 1945 ertrunken.
Ab 1923 lebte Hedwig zunächst mit ihrem Mann und ihrem Kind und ab September 1944 alleine in verschiedenen Wohnungen in der Althoffstraße („Freie Scholle“). Sie verstarb am 30. April 1984 in Bielefeld.
Spur aufgenommen und Recherche
Lutz Havemann, Lola Wienberg
Arbeitskreis “Bielefelder Arbeiter*innen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus“