Hedwig Wörmann wurde durch den Nationalsozialismus schweres Leid zugefügt

Hausdurchsuchungen in der der Wohnung von Hedwig Wörmann in der Althoffstraße 14 („Freie Scholle“) durch die Gestapo im Zeitraum Juli 1943 bis Juli 1944. Zeichnung: Patricia Lohmann.
Hausdurchsuchungen in der der Wohnung von Hedwig Wörmann in der Althoffstraße 14 („Freie Scholle“) durch die Gestapo im Zeitraum Juli 1943 bis Juli 1944. Zeichnung: Patricia Lohmann. Bildrechte: Arbeitskreis: „Bielefelder Arbeiter:innen im Widerstand gegen Nationalsozialismus“.
„Eidesstaatliche Erklärung“ von Paul Aude vom 4. März 1950.
„Eidesstaatliche Erklärung“ von Paul Aude vom 4. März 1950. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/ Amt für Wiedergutmachung Stadt, Nr. A 238
Einspruch und Beschwerde von Hedwig Wörmann – Schreiben an die Landesberufungskammer vom 14. Januar 1951.
Einspruch und Beschwerde von Hedwig Wörmann – Schreiben an die Landesberufungskammer vom 14. Januar 1951. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/ Amt für Wiedergutmachung Stadt, Nr. A 238
Karl Kaufmann (Bildmitte) im Innenhof des Bielefelder Schwurgerichts 1950.
Karl Kaufmann (Bildmitte) im Innenhof des Bielefelder Schwurgerichts 1950. Archiv von Harald Darnauer -Sammlung Christel und Gundula König
Haus in der Althoffstraße im Jahre 2024 (Siedlung der Wohnungsbaugenossenschaft „Freie Scholle“).
Haus in der Althoffstraße im Jahre 2024 (Siedlung der Wohnungsbaugenossenschaft „Freie Scholle“). Urheber: Peter Unger.
21. Juli 1943
Althoffstraße 14, 33609 Bielefeld

„Vor 1933 war Hedwig Wörmann eine gesunde und lebensfreudige Frau. Durch das schwere Leid, dass ihr durch den Nationalsozialismus zugefügt wurde, hat sie schwer gesundheitlich gelitten.“ (Paul Aude)

1933 – 1945: Hedwig Wörmanns Leben als Frau eines Widerstandskämpfers

In dieser ersten Spur schildern wir das Leben und das Leiden von Hedwig Wörmann in den Jahren 1933 bis 1945, als Ehefrau eines „führenden Funktionärs der Widerstandbewegung“. Im zweiten Teil erinnern wir an ihren jahrelangen Kampf nach 1945 um Anerkennung als “Opfer des Nationalsozialismus” und um materielle und finanzielle “Wiedergutmachung”.

“Wie aus den Akten nachweisbar zu ersehen ist mein Mann, Hermann Wörmann, des Öfteren verhaftet worden und am 15.9.1944 hingerichtet worden. Gesamthaft 40 Monate. Mein Mann war führender Funktionär der Widerstandsbewegung und stand als solcher unter dauernder polizeilicher Kontrolle, besonders da er als Antifaschist vor 1933 schon bekannt war.“ (StArchBi, Best. 409,3, Nr. A 238)

Laut Paul Audes „eidesstaatlicher Erklärung“ aus dem Jahre 1950 war Hedwig Wörmann vor der Machtübernahme durch die NSDAP eine „gesunde und lebensfreudige Frau“Maria und Paul Aude waren Nachbarn der Wörmanns in einer Siedlung der „Freien Scholle“ im „5. Kan­ton“, einem Bie­le­fel­der Ar­bei­ter­vier­tel im Os­ten der Stadt. Beide Frauen teilten dasselbe Schicksal, ihre Männer kämpften im Widerstand gemeinsam gegen das Naziregime.

Um zu verstehen, was Hedwig Wörmann während der NS-Diktatur erlitten hat, ist es Voraussetzung, sich mit dem Leben ihres Mannes in dieser Zeit zu befassen. Nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933 wurde auch Herman Wörmann, wie tausende Kommunisten und Sozialdemokraten von Polizei, SA und später Gestapo verfolgt. Von diesem Zeitpunkt an bis zu seinem Tod im September 1944 bestimmte die Sorge um das Leben und die Gesundheit ihres Mannes Hedwigs Alltag.

Tägliche Hausdurchsuchungen der Gestapo in der Wohnung der Wörmanns in der Althoffstraße 14 („Freie Scholle“)

Ab Ende Juli 1943 begann für sie „eine ungeheuer schwere Zeit.“  Ihr Mann musste nach seiner zweiten Verhaftung in Untersuchungshaft im Polizeigefängnis in Bielefeld auf seinen Prozess vor dem Volksgerichtshof warten. Auch die Zeit nach der Verkündigung des Todesurteils bis zur Überführung zur Hinrichtung nach Dortmund verbrachte Hermann zwangsläufig in einer Gefängniszelle in der Turnerstraße.

Hedwig war allein in ihrer Wohnung in der Althoffstraße, ihr Mann im Gefängnis, der einzige Sohn als Soldat an der Ostfront (laut Urteilsbegründung des Volksgerichtshofes). Auf diesem Zeitraum bezieht sich ihr Brief aus dem Jahre 1951:

[…] Die ewigen Hausdurchsuchungen, welche auch während der Haft meines Mannes immer wieder durchgeführt, sowie die dauernden Vernehmungen durch die Gestapo waren doch wohl nicht gesundheitsfördernd und die Beschränkung der Freiheit einem haftähnlichen Zustand sehr nahe kommt.
Mein Mann wurde zum letzten mal verhaftet am 21. Juli 1943 und 15.9.1944 hingerichtet. Diese Haftzeit war für mich ungeheuer schwer, dass sie nicht zu beschreiben ist. Täglich, an manchen Tagen sogar mehr als einmal war die Gestapo (die berüchtigten Beamten Kaufmann und Siekmann) in meiner Wohnung. Oft kamen diese sogar Nachts, im betrunkenen Zustand an und haben wie die Wilden gehaust.
Ich bin der Meinung, dass mancher Gelegenheitstäter im Gefängnis nicht so hat leiden müssen als wir Frauen.“

Die berüchtigten Gestapo-Beamten Kaufmann und Siekmann

Nach Ende des Krieges ab Oktober 1949 musste sich der frühere Bielefelder Gestapo-Kriminalsekretär Karl Kaufmann wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vor hiesigen Gerichten verantworten Die Historiker Dieter Begemann und Bernd J. Wagner beschreiben sein „Wirken“ während der Zeit des NS-Regimes: Unter Bielefelder Arbeitern hatte Kaufmann den Ruf eines ‚Gestapo-Henkers‘. Die Zeugen, die vom Gericht nach seinen Vernehmungspraktiken gefragt wurden, berichteten von Schlägen, Tritten in das Gesicht und Bedrohungen mit der Pistole. (vgl. Begemann 1988, S. 72).

„Kaufmanns Spezialmethode“ war aber nicht die körperliche Gewalt, dafür waren ganz andere Gestapo-Schergen bekannt. Kaufmann setzte vielmehr psychische Zwangsmittel ein. In den Verhörzellen drohte er regelmäßig, die Ehefrauen zu verhaften, stets mit dem Hinweis, dass diese die Verhöre kaum überstehen würden. […]
Witwen von hingerichteten Arbeitern berichten unter Tränen von ihren Besuchen im Polizeigefängnis Turnerstraße und den letzten Begegnungen mit ihren Männern, deren erbärmlicher Zustand auf Verhörmethoden Kaufmanns zurückzuführen sei.“ (Wagner 2021, S. 7)

Kaufmann wurde im April 1954 im Revisionsverfahren vom Schwurgericht in Bielefeld freigesprochen. – Unsere Recherche nach Julius Siekmann dem zweiten Gestapomann, der an den Haudurchsuchungen beteiligt war, blieb bisher erfolglos.

Wer war Hedwig Wörmann?

Hedwig Wörmann, geborene Koring, wurde am 25. Juni 1901 als drittes von drei Kindern in Bielefeld-Heepen geboren. Nach dem Besuch der Volksschule nahm sie eine Beschäftigung als Näherin in einem Herrenkonfektionsgeschäft an. Diesen Beruf übte Hedwig Wörmann bis zu ihrer Heirat mit Hermann Wörmann im Jahre 1923 aus. Ihr einziger Sohn Herbert geboren am 4. Juni 1923, war 1943 Soldat an der Ostfront, galt ab 1945 als „vermisst“ und wurde vom Landgericht Bielefeld erst am 15. März 1957 für tot erklärt. Nach Angaben der Enkel ihres Schwagers ist Herbert mutmaßlich beim Untergang der „Wilhelm Gustloff“ am 30. Januar 1945 ertrunken.

Ab 1923 lebte Hedwig zunächst mit ihrem Mann und ihrem Kind und ab September 1944 alleine in verschiedenen Wohnungen in der Althoffstraße („Freie Scholle“). Sie verstarb am 30. April 1984 in Bielefeld.

Spur aufgenommen und Recherche
Lutz Ha­ve­mann, Lola Wienberg
Ar­beits­kreis “Bie­le­fel­der Ar­bei­ter*in­nen im Wi­der­stand ge­gen den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus“

Literatur

  • Begemann, Dieter, „Ich hoffe, daß ein freies Deutschland für Euch entsteht“. Das Schicksal des 1944 hingerichteten Arbeiters Heiko Plöger“, Bielefeld 1988.
  • Wagner, Bernd J.: „Gestapo Scherge vor Gericht“, in: die VIERTEL Nr. 45, S. 7.
  • Wibbing, Joachim: „Der fünfte Katong“ Fast vergessen (37): In der Nähe der Heeper Fichten entstand ab 1828 ein sogenannter fünfter Kanton – die Bielefelder Mundart machte aus ihm schnell einen „Karton“ – Neue Westfälische 7. November 2017. URL

Quellen

  • Hauptarchiv Bethel, PatGiIII, 6246/6578
  • Landesarchiv NRW, Abt. OWL, D 1 BEG Nr. 5113: Urteil des II. Senats des Volksgerichtshof Bielefeld in der Strafsache gegen Hermann Kleinewächter, Otto Appelfelder, Hermann Wörmann. Gustav Koch, Friedrich Wolgast und Bernhard Putjenter vom 4. Juli 1944 (Abschrift)
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,2.20/Standesamt, Personenregister, Nr. 300: Sterbeeintrag Hedwig Wörmann (Nr. 796)
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 18.: Meldekartei Bielefeld-Mitte, 1920-1958
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 19.: Meldekartei Bielefeld-Mitte, Abgänge 1958-1984
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/Amt für Wiedergutmachung, Nr. A 238
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