Hedwig Wörmanns langer Kampf um „Wiedergutmachung“ nach 1945

„Schreibkram“. Hedwig Wörmanns jahrelanger Kampf um „Wiedergutmachung“ – Ihr Schriftverkehr mit Ämtern und Behörden. Zeichnung: Patricia Lohmann
„Schreibkram“. Hedwig Wörmanns jahrelanger Kampf um „Wiedergutmachung“ – Ihr Schriftverkehr mit Ämtern und Behörden. Zeichnung: Patricia Lohmann. Bildrechte: Arbeitskreis: „Bielefelder Arbeiter:innen im Widerstand gegen Nationalsozialismus“
Anschaffungsvorschlag Radiogerät vom 10. Mai 1946.
Anschaffungsvorschlag Radiogerät vom 10. Mai 1946. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/Wiedergutmachung Stadt, Nr. A 238
Abschrift Behandlungsbericht vom 14. April 1950.
Abschrift Behandlungsbericht vom 14. April 1950. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/Wiedergutmachung Stadt, Nr. A 238
Bescheinigung über die Mietzahlung vom 6. Oktober 1947.
Bescheinigung über die Mietzahlung vom 6. Oktober 1947. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/Wiedergutmachung Stadt, Nr. A 238
15. Oktober 1952
Althoffstraße 8, 33602 Bielefeld

“Durch all das schwere Leid, welches sie durch den Nationalsozialismus ertragen musste, sind die Nerven von Frau Wörmann zerrüttet. Durch jahrelangen Umgang mit Frau Wörmann habe ich die Beobachtung gemacht das sie seelisch gebrochen ist.” (Änne Koring, 6. März 1950)

Bürokratische Bemühungen um lebenswichtige Güter nach 1945

Hedwig Wörmann wurde am 25. Juni 1901 als Hedwig Koring in Heepen im Kreis Bielefeld geboren. Sie war die Ehefrau des am 15. September 1944 hingerichteten Widerständlers Hermann Wörmann und erlitt laut eigener Angabe nach seiner Hinrichtung einen Nervenzusammenbruch. Zugleich musste sie aufgrund ihrer schlechten wirtschaftlichen Situation schon 1945 Beschaffungsgesuche beim Wirtschaftsamt für lebenswichtige Güter wie Kleiderstoff und Brennmaterial anfordern. Die anfängliche Rente von 102 RM sank bald auf 86 RM, was die finanzielle Belastung erhöhte, da allein die Miete 34,75 RM betrug. 1946 setzte Hedwig ihre Bemühungen fort und stellte weitere Beschaffungsgesuche für ein Radiogerät, einen Mantel und Gardinen. Das Geld für ein Radiogerät erhielt sie neun Monate später aus einer Wohlfahrtsspende, im Februar 1947.

Weitere Gesuche und Verschlechterung des Gesundheitszustandes zwischen 1946 und 1949

Im Mai 1946 gabt sie an, nicht arbeitseinsatzfähig zu sein. Ihre finanzielle Situation blieb unsicher, da sie keine Krankenkassenmitgliedschaft hatte und sowohl ihre Rentenzahlungen zeitweise gekürzt wurden als auch im November gedroht wurde, Beihilfen zu streichen, falls kein ärztliches Attest für eine Arbeitsunfähigkeit vorgelegt werden könne. In den folgenden fünf Jahren kämpfte Hedwig weiter mit bürokratischen Hürden. Im Mai 1947 lag offensichtlich eine Anstellung bei der Firma Beugholz und Hollmann vor, während gleichzeitig ihre Arbeitsfähigkeit überprüft wurde. Ein Schreiben unbekannten Datums von Dr. Wolff aus dem Städtischen Krankenhaus bestätigte ihre Arbeitsunfähigkeit erneut. Im Herbst 1947 war sie nur stundenweise beschäftigt, wurde im November 1948 jedoch als ohne Beschäftigung geführt, ohne dass die Gründe für den Verlust der Arbeitsstelle dokumentiert sind. Das Sozialministerium hatte am 10. Mai 1948 anerkannt, dass Hedwig Wörmann eine Hinterbliebene sei und ihr Gesundheitszustand unter ihrem harten Schicksal gelitten habe. Rund zwei Wochen später, am 27. Mai 1948 entfiel ihre Hinterbliebenenrente, obwohl auch der Sonderhilfsausschuss sie am 31. Mai als Hinterbliebene bestätigte.

Aufenthalt in Bethel

Dennoch wurde 1949 ihr Antrag auf Beihilfe für einen Zahnersatz mit der Begründung abgelehnt, dass kein Zusammenhang zwischen der Inhaftierung ihres Mannes und ihren Gesundheitsproblemen gesehen werde. Im März 1950 beschrieb ihre Schwippschwägerin Änne Koring sie als „seelisch gebrochen“. Am 7. März 1950 unterschrieb Hedwig eine freiwillige Einweisung ins Haus Magdala in Bethel:

„Der Hals sei wie zugeschnürt. Oft steigere sich das zu einem Angstgefühl. Oft bekomme sie Herzklopfen, auch einen Druck auf dem Kopf.  Sie schlafe unruhig, träume schwere Träume, wache immer wieder auf. Morgens sei sie nicht ausgeruht.“ (Krankenanstalten der Westfälischen Diakonissen-Anstalt Sarepta in Bethel bei Bielefeld – Psychiatrische und Nervenabteilungen)

Dort wurde sie im März und April desselben Jahres mit der Diagnose einer klimakterischen Depression behandelt, teilweise durch eine Elektroschocktherapie, die nach heutigen medizinischen Erkenntnissen wirkungslos war. Am 11. April 1950 wurde sie mit einer „restlos abgeklungenen“ Depression entlassen.

Rückschläge und schlussendliche Anerkennung als politisch Verfolgte zwischen 1950 und 1952

Im Verlauf des Jahres wurde Hedwig Wörmann erneut aufgefordert, einen Zusammenhang zwischen der eigenen und der Verfolgung ihres Mannes und ihrem schlechten Gesundheitszustand zu belegen, indem sie sich amtsärztlich untersuchen lassen solle. Im Dezember 1950 fiel schließlich die Entscheidung, dass es keinen erkennbaren Zusammenhang gäbe, sodass Hedwig im darauffolgenden Jahr Berufung einlegte. Ihre ökonomische Situation zwang sie zu diesem Zeitpunkt noch immer, zwischen lebensnotwendigen Gütern, beispielsweise Winterkleidung und einem Ofen zu wählen. Acht Monate später, am 15. Oktober 1952 wird sie dann doch vom Kreis-Anerkennungsausschuss Bielefeld aufgrund der Bestimmungen des neuen Anerkennungsgesetzes als politische Verfolgte anerkannt, was im Folgejahr endlich zur Gewährung einer Beschädigtenrente und zur Übernahme der Kosten für medizinische Behandlungen führte.

„Infolge ihres harten Schicksals hat ihr Gesundheitszustand sehr gelitten“ (StArchBi, Best. 109,3, Nr. A 238)

Spur aufgenommen und Recherche
Lola Wienberg, Lutz Havemann
Arbeitskreis Bielefelder Arbeiter*innen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus

Literatur

  • Goschler, Constantin, Wiedergutmachung für NS-Verfolgte: Einführung und Überblick in Zeitenblicke 3 (2004) Nr. 2. URL
  • Goschler, Constantin, Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945 (Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts; Band 3) Göttingen 2005. URL
  • Hockers, Hans Günter (2013), Wiedergutmachung und Gerechtigkeit: Wiedergutmachung in Deutschland 1945-1990. Ein Überblick: Bundeszentrale für politische Bildung. URL

Quellen

  • Hauptarchiv Bethel, PatGiIII, 6246/6578
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,2.20/Standesamt, Personenregister, Nr. 300: Sterbeeintrag Hedwig Wörmann (Nr. 796)
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 18.: Meldekartei Bielefeld-Mitte, 1920-1958
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 19.: Meldekartei Bielefeld-Mitte, Abgänge 1958-1984
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/Amt für Wiedergutmachung, Nr. A 238
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