Wenn das Radio hören zur Straftat wird – Verhaftung und Verurteilung von Hugo Wörmann

Foto aus dem Wehrpass von Hugo Wörmann,1940. Bildrechte: Familie Wörmann
Foto aus dem Wehrpass von Hugo Wörmann,1940. Bildrechte: Familie Wörmann
Das Bielefelder Landgericht, in dem auch das Sondergericht und der Volksgerichtshof tagten.
Das Bielefelder Landgericht, in dem auch das Sondergericht und der Volksgerichtshof tagten. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, 95-005-032
Eidesstattliche Erklärung über das Urteil gegenüber Hugo Wörmann, 1948.
Eidesstattliche Erklärung über das Urteil gegenüber Hugo Wörmann, 1948. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/Amt für Wiedergutmachung, Nr. A 238.
Nachweis für Inhaftnahme von Hugo Wörmann, 1949.
Nachweis für Inhaftnahme von Hugo Wörmann, 1949. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/Amt für Wiedergutmachung, Nr. A 238
23. November 1943
Althoffstraße 9, 33609 Bielefeld

Als einziger Angeklagter nicht zum Tode verurteilt

Die Prozesse des Volksgerichtshofes, des Sondergerichts zur Aburteilung von Hoch- und Landesverrat gegen den NS-Staat, wurden normalerweise in Berlin abgehalten. In den letzten Kriegsjahren urteilte dieses Gericht auch in verschiedenen anderen Städten des Deutschen Reiches.

Im August 1944 fand unter Vorsitz des Vizepräsidenten Dr. Wilhelm Crohne (1880-1945) im Landgericht Bielefeld die Hauptverhandlung gegen fünf Arbeiter aus dem Bielefelder Widerstand statt. Angeklagt waren neben Hugo Wörmann auch Paul Brockmann, Otto Giesselmann, Gustav Milse und Rudolf Sauer. Hugo Wörmann wurde als einziger Angeklagter nicht zum Tode verurteilt.

I.

Die Angeklagten Giesselmann, Brockmann, Sauer und Milse haben durch organisierte, kommunistische Propaganda und durch Verbreitung von Nachrichten der Feindsender den Feind begünstigt und den Wehrwillen zersetzt. Sie werden deshalb zum Tode verurteilt und sind für immer ehrlos.
Der Angeklagte Hugo Wörmann ist der Vorbereitung zum Hochverrat schuldig und wird deshalb zu 6 – sechs – Jahren Zuchthaus und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von 6 – sechs Jahren verurteilt. Acht Monate der erlittenen Untersuchungshaft werden ihm auf die Strafe angerechnet.

II.
Die beschlagnahmten Rundfunkgeräte werden eingezogen. Die Angeklagten tragen die Kosten des Verfahrens. […]

G r ü n d e:
Beim Angeklagten Hugo Wörmann hat der Senat entgegen der Annahme der schriftlichen Anklage nicht feststellen können, daß er sich der Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung schuldig gemacht hat. Dieser Angeklagte hat sich offensichtlich nur unter dem Einfluß seines radikal kommunistisch eingestellten Bruders Hermann Wörmann an den politischen Diskussionen in dessen Wohnung beteiligt, sich aber auf bloßes Zuhören beschränkt. Er ist also nicht aktiv hervorgetreten Immerhin hat er sich durch seine wiederholte Teilnahme und zwar auch am gemeinschaftlichen Abhören der Feindsender, in die auf dem Umsturz hinarbeitenden Gruppe, die unter der Führung seines Bruders stand, im zweifelfreien Bewußtsein der Bedeutung seines Verhaltens eingereiht und sich damit der Vorbereitung zum Hochverrat (§§ 83 Abs. 2, 3 Nr. 1 StGB) schuldig gemacht. Da er selbst den feindlichen Rundfunk gehört hat, ist er auch eines Vergehens nach § 1 der Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen schuldig.
“ (LAV, Urteil des II. Senats des Volksgerichtshof Bielefeld, 3. August 1944)

Die zum Tode verurteilten Angeklagten wurden am 15. und am 22. September 1944 in Dortmund hingerichtet. In diesem Gefängnis kam auch Hugos älterer Bruder Hermann durch das Fallbeil zu Tode. Seine Hinrichtung fand am 15. September 1944 statt.

Der Vorsitzende Richter Dr. Crohne nutzte seinen Aufenthalt in Bielefeld, um “zur Steigerung der Propaganda- und Abschreckungsfunktion” bei den Dürkopp-Werken, auch vor Arbeitern anderer Rüstungsbetriebe, über die “Aburteilung von Rundfunkverbrechen” zu sprechen.

Gemeinsam “Feindsender” gehört und Nachrichten verbreitet

Seit 1939 trafen sich auch in Bielefeld heimlich kleine Gruppen von Arbeitern, um gemeinsam ausländische Rundfunksendungen zu hören. Hugo Wörmann besuchte zusammen mit Genossen wie Gustav Milse und Hermann Kleinwächter seinen Bruder Hermann, um regelmäßig BBC London oder auch Radio Moskau zu hören. Anschließend werteten sie die Sendungen aus und diskutierten z.B. über den tatsächlichen Frontverlauf oder über den Terror der Nazis im eigenen Land. Später gaben sie, um nicht bemerkt zu werden, in Toiletten und Waschräumen der Fabriken ihre Informationen an andere vertrauenswürdige Arbeitskollegen weiter. Sie warben für ein schnelles Kriegsende und forderten diese auf sich dem Widerstand anzuschließen. Außerdem tauchten in den Betrieben häufiger Flugblätter und Wandparolen gegen den Krieg auf.

“Schutz-“, Untersuchungshaft, Zuchthaus und Befreiung

Am 23. November 1943 wurde Hugo Wörmann an seiner Arbeitsstelle, den Benteler-Werken, von der Gestapo verhaftet. Gleichzeitig durchsuchte die politische Polizei seine Wohnung in der Althoffstraße 9 und beschlagnahmte sein Radio. Fast einen Monat saß er – ohne Gerichtsbeschluss – in sogenannter “Schutzhaft”. Die Zeit vor und nach seinem Prozess im August 1944 musste Hugo Wörmann im Polizeigefängnis in der Turnerstraße verbringen.

Ab 5. September 1944 verbüßte er seine Zuchthausstrafe in Württemberg in der Strafanstalt Ludwigsburg. Aufgrund der vorrückenden Alliierten erfolgte Anfang April 1945 die Verlegung des Bielefelder Arbeiters zusammen mit anderen Inhaftierten in die Strafanstalt Kaisheim in der Nähe von Donauwörth. Auf Anordnung der amerikanischen Militärbehörde wurden dort zwei Monate später fast alle 800 Gefangenen- unter ihnen Hugo Wörmann – entlassen.

Biographische Angaben

Hugo Wörmann kam am 17. September 1902 in Bielefeld auf die Welt. Er starb am 18. April 1990. Er besuchte die “Bürgerschule”, anschließend absolvierte er eine Lehre als Dreher. Nach mehrfachem Wechsel der Arbeitsstätte und Zeiten der Arbeitslosigkeit wurde Hugo Wörmann im Mai 1936 als Lehren-Schleifer bei den Benteler-Werken AG eingestellt. Aus seiner Ehe mit Emma gingen seine Kinder Lore und Ronald hervor.

Politisch engagierte er sich ab 1923 in der SPD. Aus verständlichen Gründen verschwieg er vor Gericht seinen Übertritt in die KPD im Jahre 1928.

Spur aufgenommen und Recherche
Rahel Thielmann (Erstversion)
Rudolf Rempel Berufskolleg Bielefeld

Weitere Recherche
Detlev Hamann, Lutz Havemann (in Absprache mit der Autorin)
Arbeitskreis “Bielefelder Arbeiter*innen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus”

Quellen

  • Gespräch von Mitglieder des Arbeitskreises: Bielefelder Arbeiter*innen im Widerstand mit der Enkelin, dem Enkel und dem Urenkel von Hugo Wörmann im März 2023.
  • Landesarchiv NRW Abteilung-Ostwestfalen-Lippe: Urteil des II. Senats des Volksgerichtshof Bielefeld in der Strafsache gegen Otto Giesselmann, Paul Brockmann, Rudolf Sauer, Hugo Wörmann und Gustav Milse vom 3. August 1944 (Aktenzeichen: 2 H 134/44 – 9 J 34/44)
  • Rundfunkverbrecher, Verräter, Agenten – Rede des Vizepräsidenten des Volksgerichtshofes Dr. Cro[h]ne vor Bielefelder Arbeitern, in: Westfälische Neueste Nachrichten vom 5. August 1944. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr. 6. URL
  • Stadtarchiv Bielefeld: Bestand 109,3/ Amt für Wiedergutmachung, Nr. A 238
  • Stadtarchiv Bielefeld: Bestand 300,7/ Kleine Erwerbung, Nr. 154
Veröffentlicht am und aktualisiert am 23. November 2023

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