Die „Judenreferate“ bei den Gestapostellen bildeten sich erst nach dem Erlass der Nürnberger Rassegesetze (15. September 1935) heraus. Bei der Bielefelder Gestapo gehörte die Überwachung des jüdischen Bevölkerungsteils bis dahin in das Sachgebiet „Kirchen, Freimaurer, Juden“.
Die Rassegesetzgebung brachte einen deutlichen Anstieg der Aufgaben und Aktivitäten mit sich. Schon im August 1935 hatte das Geheime Staatspolizeiamt (Gestapa) in Berlin von allen Dienststellen die Führung einer „Judenkartei“, umsetzbar ab 1. Oktober, gefordert. Wurden bisher nur die jüdischen Organisationen mit ihren Mitgliedern erfasst, sollte nun die Erfassung jeder einzelnen Person erfolgen. Die Bielefelder Gestapo war zu diesem Zeitpunkt für etwa 3.000 bis 3.500 Betroffene zuständig.
Die Organisationsstruktur der Gestapostelle Bielefeld änderte sich mehrmals und ist mangels Quellen nicht in allen Details nachvollziehbar. Die personelle Ausgestaltung des Referates liegt ebenfalls weitgehend im Dunkeln. Zum ersten Leiter wurde der zuletzt als Kriminalassistent im Bielefelder Polizeipräsidium tätige Wilhelm Pützer (1893-1945) bestellt. Pützer trat seinen Dienst zum November 1935 an. Weitere Mitarbeiter waren wahrscheinlich der Kriminalassistent Rudolf Elsner, der die „Judenkartei“ führte, und zeitweise der Kriminalsekretär August Solle. Das Referat erhielt bei besonderen Aufgaben (v.a. bei der Abwicklung der Deportationen) Unterstützung durch andere Abteilungen. Mitte 1944 wurde Pützer durch Hermann Peters abgelöst.
Der bürokratische Aufwand der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung war immens. Neben der Führung der Kartei stellte die Überwachung der jüdischen Organisationen vor Ort (Jüdischer Centralverein, Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, Jüdischer Kulturbund, Zionistische Arbeitskreise, usw.) wie auch der Synagogengemeinden die Gestapo vor erhebliche personelle Probleme. Jede Veranstaltung musste vorher genehmigt werden. Ein Bericht der Bielefelder Dienststelle von Ende 1935 hob hervor, dass alles, was zur Aufführung oder zum Vortrag gelangen sollte, vorher zu lesen und zu zensieren sei.
Das „Judenreferat“ wurde auch in Angelegenheiten um die Auswanderung, um die Vergabe von Gewerbescheinen oder in Fällen sogenannter Rassenschande beteiligt. Mit Beginn des Krieges kamen die Organisation und Kontrolle von zahlreichen repressiven Maßnahmen hinzu. Besonders arbeitsintensiv aber waren Maßnahmen wie die Verschleppung von über 400 jüdischen Männern („Aktionsjuden“) aus dem Gestapobezirk ins Konzentrationslager Buchenwald im November 1938, mehr noch die Abwicklung der Deportationen von Dezember 1941 bis Juni 1943. In deren Organisation und Durchführung war ein Großteil des Personals der Dienststelle involviert.
Ab Mitte 1939 griffen die Gestapostellen auf die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland (RVJD), eine Zwangsorganisation unter Kontrolle des Reichssicherheitshauptamts, als Instrument zurück. Das Bielefelder „Judenreferat“ bediente sich der RVJD-Bezirksstelle Westfalen in Bielefeld und nach deren Auflösung im Juni 1943 bis Kriegsende des RVJD-Vertrauensmannes für die Regierungsbezirke Minden, Münster und das Land Lippe, Louis Sternberg aus Paderborn.
Mit zwei Transporten vom Mai und Juni 1943 waren die letzten nicht durch „Mischehe“ geschützten jüdischen Frauen und Männer aus dem Gestapo-Bezirk Bielefeld abgeschoben worden. Personell wurde es anschließend sowohl in der Leitstelle Münster als auch in der Außenstelle Bielefeld verschlankt. Auf Wilhelm Pützer folgte Mitte des Jahres der Kriminalsekretär Hermann Peters (1906-1986). Dieser war nur noch für die in „Mischehe“ lebenden Jüdinnen und Juden (in Bielefeld 39) und mehrere „jüdische Mischlinge“ zuständig.
Das „Judenreferat“ begann seine Tätigkeit im November 1935 noch in der Viktoriastraße 9, bevor es mit der gesamten Dienststelle Anfang 1936 in den Siekerwall 9 umzog. Nach der Zerstörung des Gebäudes durch Bomben Ende September 1944 kam der „Judenreferent“ Hermann Peters im Upmannstift in der Upmannstraße 29 unter. Ob im März 1945 noch ein Wechsel ins Gebäude Dornberger Straße 2 erfolgte, ist unklar.
Spur aufgenommen und Recherche
Jürgen Hartmann