Deportation von Jüdinnen und Juden am 12. Mai 1943 aus Bielefeld nach Theresienstadt

Kennkarte Charlotte Daltrop.
Kennkarte Charlotte Daltrop. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,8/Judaica, Nr. 10.
Abschiedsbrief von Gustav Meyer.
Abschiedsbrief von Gustav Meyer. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 200,137/Nachlass Alfred Meyer, Nr. 9.
12. Mai 1943
Hauptbahnhof Bielefeld, 33602 Bielefeld

Der sechste und vorletzte Deportationszug im Rahmen der „Endlösung der Judenfrage“ kam aus Münster und verließ Bielefeld am 12. Mai 1943 mit 40 Personen. Sie erreichten das Ghetto in Theresienstadt einen Tag später, am 13. März. Unter ihnen befanden sich 33 Jüdinnen und Juden, die zuvor wohnhaft in Bielefeld gemeldet waren (Liste). Die übrigen stammten aus Minden – sie wurden wahrscheinlich zuvor nach Bielefeld in das Sammellager gebracht – und aus Münster, die sich schon im Zug befanden.

Organisation und Transport

Die Deportationen wurden als „Umsiedlungen“ in den Osten verharmlost, aber nach den Massendeportationen im Sommer 1942 (zumeist nach Theresienstadt) und den Deportationen in die Vernichtungslager wie Auschwitz seit 1942 – in Bielefeld am 10. Juli 1942 und 3. März 1943 – konnten die Täuschungen nicht mehr aufrecht gehalten werden. Die Deportationen im Mai und Juni 1943 gehörten zu einer Serie von kleineren Transporten im Anschluss an die Massentransporte seit 1942.

Ab Herbst 1942 übernahmen die Regionaldirektionen der Reichsbahn die Verantwortung für die Transporte vom Reichsverkehrsministerium. Die Planung, Organisation und Durchführung oblag weiterhin der Gestapo-Außenstellen, unter anderem in Bielefeld. Damit verkürzten sich die Wege zur Reichsbahn: Der administrative Ablauf der Deportationen wurde für die Täterinnen und Täter vereinfacht.

Einige Tage vor dem 12. Mai 1943 wurden die zu deportierenden Jüdinnen und Juden aus dem Zuständigkeitsbereich der Gestapo Außenstelle Bielefeld in das Sammellager „Eintracht“ (in der heutigen Ritterstraße) gebracht. Die in Bielefeld zur Deportation Bestimmten mussten sich spätestens am 11. Mai dort einfinden oder wurden von der Gestapo abgeholt. Sie warteten gemeinsam auf ihre Deportation nach Theresienstadt.  Wie bei den Deportationen zuvor durften sie nur 25 Kg. Gepäck und die Kleidung, die sie trugen, mitnehmen. Wertgegenstände und Schmuck wurden ihnen gegen Quittung abgenommen – sie erhielten sie nie zurück.

Einige Stimmen der Deportationsopfer

Bis 1943 waren einige Jüdinnen und Juden vor den Deportationen noch geschützt, da sie in zahlreichen Bielefelder Betrieben „kriegswichtigen Arbeitseinsatz“ leisten mussten. Andere, wie die Veteranen des Ersten Weltkriegs, Dr. Gustav Meyer und Albrecht Daltrop, verloren ebenfalls ihren Sonderstatus. Vor der Deportation geschützt blieben 1943 weiterhin Partnerinnen und Partner aus „Mischehen“ – sie wurden in den zwei folgenden Jahren aus Bielefeld in die Arbeits- und Konzentrationslager verschleppt.

Resignation und Verzweiflung der Deportierten werden exemplarisch in folgenden Stimmen deutlich. Dr. Gustav Meyer schreib an seine geflüchteten Söhne in England und den USA:

„[…] Die harte Zeit hat uns jäh auseinandergerissen, ohne in uns die Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen mit Euch allen zu ersticken. Nun aber haben auch wir den Befehl erhalten, uns für den Weg in die Verbannung nach Theresienstadt zu rüsten. […] Denkt oft an uns, wenn Ihr schwankt, wie Ihr das eine oder andere Problem des Lebens lösen sollt! Haltet untereinander das geschwisterliche Band fest und verknüpft und helft und unterstützt einander nach Kräften!

Seine Frau Therese Meyer fügt hinzu:

Was uns in Theresienstadt erwartet, das wissen wir nicht. Wir verlieren aber den Mut nicht, daß wir auch die Zeit dort überstehen können und daß ein Hoffnungsfunke besteht, daß wir Euch, geliebte Kinder, doch eines Tages wiedersehen! Vaters [Dr. Gustav Meyer] Gesundheit hat sich zum Glück in den letzten Monaten gefestigt, nicht zuletzt durch Hilfe guter Menschen […]; ich hoffe daher, daß er auch einige Strapazen ertragen kann und daß wir beide zusammen bleiben können.

Am 21. Mai 1945, kurz nach der Befreiung von Theresienstadt, formuliert der überlebende Albert Daltrop in einem Brief an seine Kinder:

We passed very hard times. The hunger we have had an the danger we were in have overcome […] Nearly all oft hem were evacuated here and from here to Poland or to some other place. We fear them not being alive and us as the sole survivors of our family. For nearly all of our relations or acquaintances are dead. In is too sad to say all we have gone through.

Spur aufgenommen und Recherche
Jan-Willem Waterböhr, M.A.
Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld

Literatur

  • Gottwald, Alfred / Schulle, Diana, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005
  • Minninger, Monika / Meynert, Joachim / Schäffer, Friedhelm (Hrsg.), Antisemitisch Verfolgte registriert in Bielefeld 1933-45. Eine Dokumentation jüdischer Einzelschicksale (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 4) Bielefeld 1985, S. 70 – 127
  • Minninger, Monika / Stüber, Anke / Klussmann, Rita, Einwohner – Bürger – Entrechtete. Sieben Jahrhunderte jüdisches Leben im Raum Bielefeld, Bielefeld 1988
  • Wagner, Bernd J., Deportation in Bielefeld und Ostwestfalen 1941-1945, in: Asdonk, Jupp / Buchwald, Dagmar / Havemann, Lutz / Horst, Uwe / Wagner, Bernd J. (Hrsg.), „Es waren doch unsere Nachbarn!“, Deportationen in Ostwestfalen-Lippe 1941-1945 (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 24), Bielefeld 2012

Quellen

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 200,137/Nachlass Alfred Meyer, Nr. 9, 10
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,8/Judaica, Nr. 14
Veröffentlicht am

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