„Drück weiter die Daumen für uns. […] Morgen früh geht der Zug gegen halb 10h, aber wir werden schon gegen 6-7h abgeholt. Das Gepäck brauchen wir nicht zu tragen.“ (Hoffmann 2007, S. 107),
schrieb Lotte Windmüller am 1. März 1943 ihren Angehörigen, nachdem sie in die Vereinshalle „Eintracht“ gebracht wurde. Sie wusste vermutlich schon, dass das Ziel Auschwitz war.
Am frühen Morgen des 2. März 1943 wurden mindestens 229 Jüdinnen und Juden vom Haupt- und Güterbahnhof Bielefeld in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Sie stammten aus dem Zuständigkeitsbereich der Gestapo-Außenstelle Bielefeld, d.h. aus den Regierungsbezirken Minden, Lippe und Schaumburg-Lippe. In Bielefeld wohnhaft gemeldet waren insgesamt 112 (Liste) – davon stammten etwa 76 jüdische Lagerinsassen aus dem “Umschulungslager” Schlosshofstraße 73a, unter ihnen ca. 30 Frauen und 15 (Klein-)Kinder. Etwa 100 weitere kamen aus dem aufgelösten „Umschulungslager“ Grüner Weg 86 in Paderborn. Acht weitere wurden aus Osnabrück nach Bielefeld gebracht.
Es war die fünfte Deportation aus Bielefeld seit Dezember 1941 – zwei weitere sollten im selben Jahr folgen. Nur wenige überlebten die „Zugfahrt in den Tod“.
Die Deportation nach Auschwitz fand im Rahmen der „Endlösung der Judenfrage“ statt, wie sie auf der Wannseekonferenz beschlossen wurde. Erklärtes Ziel der Nationalsozialisten war die Vernichtung der Jüdinnen und Juden. Nachdem zahlreiche, in Bielefeld lebenden Jüdinnen und Juden in „Judenhäusern“ zwangseingewiesen wurden, entstanden zunächst in der Koblenzer Straße 4 (heute: Artur-Ladebeck Straße 6) und anschließend in der Schloßhofstraße 73a, Wohn- und Arbeitslager. Als Einrichtung der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland (RVJD) mit einer Unterkunft für alte und kranke Jüdinnen und Juden („Siechenheim“) fühlten sich viele Insassen im Vergleich zu den Bewohnerinnen und Bewohnern der „Judenhäuser“ vor dem „Abtransport zum Arbeitseinsatz im Osten“ sicherer, wie die Deportation verharmlosend und verschleiernd von den Nationalsozialisten bezeichnet wurde.
1943 schwand die trügerische Sicherheit. Nicht nur das „Umschulungslager“ in der Schloßhofstraße 73a, sondern auch das Arbeitslager im Grünen Weg 86 (Paderborn) wurden aufgelöst. Sie wurden am 26. Februar informiert und am 1. März am hellen Tag nach Bielefeld in die Sammelstellen transportiert. Von der Deportation waren all jene betroffen, die aufgrund ihres hohen Alters oder vorheriger Verdienste nicht im Verlauf desselben Jahres nach Theresienstadt deportiert werden sollten.
„‘Wir werden nach dem Osten abgeschoben und müssen uns übermorgen im Gebäude des Vereinslokals ‚Eintracht‘ einfinden.‘ Niemand dürfe das Lager [Schloßhofstraße 73a] jetzt mehr verlassen“ (Hoffmann 2007, S. 104 f.),
so schilderte es der Überlebende Paul Hoffmann seinem späteren Sohn Daniel. Die Jüdinnen und Juden aus dem Gestapo-Zuständigkeitsbereich wurden wie bei den Deportationen zuvor nach Bielefeld gebracht und in den Sammellagern des Vereinshaus „Eintracht“ (heute: Ritterstraße 57) und dem Gast- und Versammlungshaus „Kyffhäuser“ am Kesselbrink einquartiert.
Sie durften nur folgendes Gepäck mit sich führen:
Die übrigen Besitztümer wurden beschlagnahmt und von dem Finanzamt Bielefeld versteigert.
Von den in Bielefeld wohnhaften Jüdinnen und Juden überlebten nach heutigem Kenntnisstand elf die Deportation vom 2. März 1943 nach Auschwitz. Einer von Ihnen, Paul Hoffmann, schilderte seinem Sohn zahlreiche Erlebnisse und Erfahrungen – daraus entstand das Buch „Lebensspuren meines Vaters“, das eindrucksvoll und alltagsorientiert Einblick in die Vorgänge und das Erleben der Deportation zwischen 1941 und 1943 sowie das Überleben in der Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten schildert.
An die deportierten Jüdinnen und Juden aus Bielefeld erinnert das Mahnmal „Jede Ermordete, jeder Ermordete hat einen Namen“ vor dem Hauptbahnhof in Bielefeld.
Spur aufgenommen und Recherche
Jan-Willem Waterböhr M.A.
Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld