Am 20. Januar 1942 begann in Bielefeld eine Serie von Auktionen, die in der Turnhalle der Bückardtschule startete, vor allem aber in der Versteigerungshalle Am Bach 12a stattfand. Mobiliar, Textilien und Haushaltsgegenstände der 80 am 13. Dezember 1941 vom Hauptbahnhof nach Riga deportierten Bielefelder Jüdinnen und Juden wurden meistbietend versteigert. In den sechs Wochen zwischen Deportation und Auktion hatte das Finanzamt mit beauftragten Gerichtsvollziehern die Wohnungen geräumt, die Habe auf Eigenbedarf geprüft und sie für die Versteigerungen taxiert. Darüber hinaus übernahmen die Finanzbeamten in ihrem 1936 eingeweihten Dienstgebäude in der Ravensberger Straße 125 die Verwaltung und Verwertung weiteren Vermögens: Immobilien, Aktien, Versicherungen, Bankguthaben etc.
Grundlage war die am 25. November 1941 erlassene 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz („Nürnberger Gesetze“), der zufolge Personen, die Deutschland dauerhaft verließen, ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren, während ihr Vermögen automatisch dem Reich verfiel. Damit war ein vereinfachter Zugriff auf das Vermögen der ausgewanderten, vor allem aber auf das der ab Herbst 1941 deportierten Jüdinnen und Juden ermöglicht, da die zuvor notwendigen Einzelentziehungsverfügungen (außer für die Theresienstadt-Deportationen) entfielen.
Die praktische Umsetzung fiel beim Finanzamt Bielefeld dem neu eingerichteten Abschnitt B V 5 („Verwaltung des dem Reich verfallenen Juden-Grundbesitzes“ und „Verwertung des dem Reich verfallenen Juden-Vermögens“) zu. Er organisierte den Entzug und die Verwertung einschließlich der Anmietung von Lager- und Versteigerungsräumen, hielt Kontakt zur Gestapo, zu Gerichtsvollziehern, Spediteuren und Stadtwerken, glich Vermögensverzeichnisse und vorgefundenes Inventar ab und übernahm die Wohnungs- und Hausverwaltung. Die Versteigerungen wickelten zunächst Gerichtsvollzieher, ab Sommer 1942 die Vollstreckungsstelle des Finanzamts ab, die die Einnahmen an die Finanzkasse abführte, von wo aus an die Oberfinanzkasse in Münster überwiesen wurde. Gewerbsmäßige Auktionatoren gab es in Bielefeld seinerzeit nicht.
Das Finanzamt Bielefeld hatte zuvor bereits, wie andere Behörden auch, die Sondergesetzgebung gegen die jüdische Bevölkerung seit 1933 umgesetzt. Das Sachgebiet B V bearbeitete normalerweise u. a. die Vermögens- und die Grundsteuer sowie die 1931 eingeführte Reichsfluchtsteuer, die ursprünglich die chronisch finanzschwache Weimarer Republik vor Kapitalabfluss schützen sollte. Als das Regime ab 1933 jedoch vor allem die Juden zur Auswanderung drängte und gleichzeitig die Bemessungsgrenzen verschlechterte wurde die Reichsfluchtsteuer somit von einer ökonomischen Schutzmaßnahme zum ideologischen Ausbeutungsinstrument umgedeutet. Die den Juden als „Sühneleistung“ für das Attentat auf den Botschaftssekretär Ernst Eduard vom Rath (1909-1938) in Paris 1938 auferlegte „Judenvermögensabgabe“ sollte 1 Milliarde RM abpressen. Die westfälischen Finanzämter allein kassierten 25,5 Mio RM ein.
Die im Vergleich zu anderen westfälischen Finanzämtern hohen NSDAP-Mitgliederzahlen in Bielefeld (1939: 127) sind für den gesetzlich verordneten Vermögensentzug von untergeordneter Bedeutung: Die Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung wäre genauso geschehen, wenn alle Beamten Mitglied gewesen wären oder kein einziger. Man kann, aber man muss nicht Nazi oder Antisemit sein, um als Beamter Juden auszuplündern. Genauso wenig muss man Nazi oder Antisemit sein, um bei einer Versteigerung ein Schnäppchen zu machen, dessen Herkunft offensichtlich sein musste. Diese „moralische Indifferenz“ (Bajohr) war verbreitet, schließlich kaufte man vom Finanzamt.
Spur aufgenommen und Recherche:
Dr. Jochen Rath
Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld