In Bielefeld wird der „Tag von Potsdam“ begangen

Die Sparrenburg mit Hakenkreuzflagge und der schwarz-weiß-roten Reichsflagge des Kaiserreichs am
Die Sparrenburg mit Hakenkreuzflagge und der schwarz-weiß-roten Reichsflagge des Kaiserreichs am "Tag von Potsdam". Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3 Fotosammlung, Nr. 91-002-022.
21. März 1933
Johannisberg, Bielefeld

„Im Gleichschritt mit Potsdam“ – so titelten die „Westfälische Neueste Nachrichten“ aus Bielefeld am 22. März 1933. Die Zeitung beschrieb damit die heimische Parallelveranstaltung zur feierlichen Eröffnung des Anfang März gewählten Reichstags.

Der „Tag von Potsdam“ war von den Nationalsozialisten aufwendig inszeniert worden, um die im Frühjahr 1933 noch nicht gefestigte Herrschaftsgewalt weiter auszubauen. Man erhoffte sich den Schulterschluss mit den Nationalkonservativen und konstruierte die „Nationale Erhebung“ des 30. Januars 1933, als Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt worden war, als logische Konsequenz einer langen Tradition preußischer Geschichte. Höhepunkt war – zumindest in der Retrospektive – der Handschlag zwischen dem greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und Adolf Hitler, der sich auch symbolisch der Schlüsselfigur der Nationalkonservativen unterwarf. Gleichzeitig wurde der Anschein erweckt, man respektiere die Organe der Weimarer Verfassung, obwohl das kurz vor der Verabschiedung stehende „Ermächtigungsgesetz“ diese Symbolik unterhöhlen und bloßstellen sollte.

Es ist anzunehmen, dass mit dem „Tag von Potsdam“ unschlüssige Abgeordnete des sogenannten bürgerlichen Lagers sich bei der Abstimmung überzeugen ließen, für das Gesetz zu stimmen. Die Wirkmächtigkeit der Inszenierung betraf aber auch Bielefelder Persönlichkeiten, wie z.B. die Rede des Landrats August Beckhaus bei der Eröffnung des Kreistages nur wenige Tage später zeigt. Er warb offensiv für die „nationale Bewegung“ und sprach „die vielen Deutschen aus dem bürgerlichen Lager [an], die noch abseits stehen.“

Der Tag selbst hatte in Bielefeld mit drei Böllerschüssen begonnen, die um etwa 7 Uhr vom Johannisberg über der Stadt ertönten. Die Straßen Bielefelds als auch der umliegenden Gemeinden waren überbordend mit schwarz-weiß-roten Fahnen und Hakenkreuzwimpeln geschmückt. Die Festivitäten in Potsdam wurden im Radio übertragen; wer kein eigenes besaß, konnte die Veranstaltung über die zahlreichen im Stadtgebiet verteilten Lautsprecher verfolgen. In der Neustädter Marienkirche und in St. Jodokus fanden unter Anwesenheit größerer Polizeieinheiten, SA, SS und Stahlhelm Gottesdienste der jeweiligen Konfession statt.

Die gleichen Gruppierungen waren auch wesentliche Akteure des anschließenden Aufmarsches am Schillerplatz, an dem bereits Vertreter der Bielefelder Behörden teilnahmen. Unter der Führung des kommissarischen Polizeipräsidenten Friedrich von Werder schritten so auch Landrat Beckhaus und Oberbürgermeister Paul Prieß die militärisch angeordneten Reihen der Bielefelder Polizei bzw. der entsprechenden Parteigliederungen der NSDAP ab.

Zentrales Ereignis dieses propagandistisch durchchoreografierten Tages war aber vermutlich der Fackelzug. Gegen 20 Uhr marschierten laut Westfälischer Zeitung 4000 Teilnehmer vom Kesselbrink über den Jahnplatz auf den Johannisberg. Neben den zu erwartenden Verbänden aus Polizei, SA, SS, Stahlhelm usw. waren auch eine Abordnung der Evangelischen Jugend, das Bataillon der Schützengesellschaft und Bielefelder Sportvereine Teil des Zuges.

Bei der anschließenden Kundgebung auf dem Johannisberg sprachen Oberbürgermeister Prieß und im Anschluss der Betheler Arzt Hanns Löhr für die NSDAP. Prieß schloss mit den Worten: „Wir aber wollen den Männern folgen, glaubend und vertrauend, die uns den Weg führen wollen, in eine neue deutsche Zukunft.“ Löhr ging ausführlich auf die „Revolte der Unfähigkeit, der Feigheit und des Verrats“ vom November 1918 ein, der „Jahre der Entrechtung und Knechtung“ folgten und die nun überwunden sei. Der Nationalsozialismus werde „einen Staat schaffen, der sich wieder einen Platz an der Sonne erobert und unbesiegbar ist.“

Die Veranstaltung wurde mit dem Singen des Deutschlandliedes und des „Horst-Wessel-Liedes“ abgeschlossen.

Zwei Tage später verabschiedete der Reichstag das Ermächtigungsgesetz – allein die SPD hatte dagegen votiert, die KPD-Abgeordneten waren nicht mehr zur Abstimmung zugelassen worden. Damit war auch die „rechtliche“ Grundlage für die nationalsozialistische Diktatur gelegt und das Ende der Weimarer Republik faktisch beschlossen.

Spur aufgenommen und Recherche
Helmut Henschel, B.A.
Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld

Literatur

  • Kopke, Christoph / Treß, Werner (Hrsg.), Der Tag von Potsdam. Der 21. März 1933 und die Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur, Berlin/Boston 2013.

Quellen

  • Westfälische Zeitung, 22. März 1933. URL
  • Westfälische Neueste Nachrichten, 22. März 1933. URL 
Veröffentlicht am und aktualisiert am 28. Februar 2022

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