Clara Delius, 1924 als erste Frau in den Bielefelder Stadtrat gewählt, erblickte am Nachmittag des 6. März 1933 erfreut die alte Reichsflagge am Balkon des Rathauses: „Endlich das heiß ersehnte Schwarz-Weiß-Rot!“ Ihre Freude wurde getrübt von der darüber angebrachten Hakenkreuzfahne. Aus Protest gegenüber diesem Parteisymbol verließ die Stadträtin – zusammen mit sieben Abgeordneten der SPD und des Zentrums – die Versammlung. Dafür wurde sie von den Nationalsozialisten verhöhnt, aber bis nach dem Krieg selbst von politischen Gegnern respektiert. Wie lässt sich der Mut von Clara Delius erklären?
Sie wurde am 9. Juni 1887 in Halle/Westfalen als viertes Kind der wohlhabenden Kaufmannsfamilie Kisker geboren. Als Heranwachsende spielte sie mehrheitlich mit Jungen und entdeckte das alpine Klettern für sich. Sie zog nach Bielefeld zu den Großeltern und besuchte dort die spätere Cecilienschule. Nach einer kurzen Rückkehr nach Halle, lernte sie 1913 den Teilhaber der Seidenweberei C.A. Delius & Söhne, Herbert Delius, kennen und heiratete ihn im darauffolgenden Jahr. Sie ließen sich im Albrecht-Delius-Weg 3 nieder und bekamen zwei Kinder. Clara Delius setzte sich während des Ersten Weltkriegs für die unter den Folgen des Kriegs leidenden Familien der Arbeiter von Delius ein. Bei allem gesellschaftlichen Engagement stand sie einem Amt in der Lokalpolitik zunächst jedoch skeptisch gegenüber.
Dennoch fühlte sie eine starke Verpflichtung als Bielefelder Bürgerin und blieb daher politisch aktiv: So war sie 1919 Gründungsmitglied der konservativen Deutschen Volkspartei (DVP) in Bielefeld und zog 1924 als Abgeordnete in die Stadtverordnetenversammlung ein. Sie war als eine gute Rednerin bekannt, die sich u.a. für ein traditionelles Familienbild einsetzte. Dem Aufstieg der Sozialdemokraten setzte das konservative und kaisertreue Parteienspektrum 1924 auch in Bielefeld einen „Bürgerblock“ entgegen. Die Wahl ging an die SPD verloren, aber bei den nächsten Wahlen 1929 entstand erneut eine „bürgerliche Einheitsfront“, dieses Mal unter der Leitung von Clara Delius.
Auch während der Phase der NS-“Machtergreifung” übernahm Delius politische Verantwortung, aber nicht für die neuen Machthaber, denen sie zwar anerkennend „nationale Gesinnung“ bescheinigte, die sie aber angesichts des Hissens der braunen „Parteifahne“ am Bielefelder Rathaus nicht überzeugen konnten. Stattdessen fühlte sie Verantwortung für die „Freiheit des Bürgers“ und wünschte sich Schwarz-Weiß-Rot bald als „anerkannte Reichsflagge“, wie sie auf einer „Bürgerblockversammlung“ am 9. März 1933 bekundete, als sie ihre drei Tage zuvor erfolgte Protestaktion erklärte.
Über ihre Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus im weiteren Verlauf des Dritten Reichs ist bislang nichts bekannt. Lediglich weiß man, dass ihr Mann, Herbert Delius, am 1. Mai 1933 der NSDAP beitrat und somit zu den „Märzgefallenen“ gezählt werden kann.
Clara Delius blieb auch während und nach dem Zweiten Weltkrieg sozial engagiert, setzte sich über Jahrzehnte im Vorstand des Upmannstifts für alte Menschen ein und war im Hausfrauenverein als Ehrenvorsitzende tätig.
1962 erkrankte sie schwer und verstarb im am 27. Januar 1963. Von Oberbürgermeister Herbert Hinnendahl wurde Clara Delius als eine Frau gewürdigt, die sich die „Achtung ihrer Mitbürger“ erworben habe. In einem Nachruf der Westfälischen Zeitung hieß es, sie gehe „in die Annalen der Stadt“ ein.
Clara Delius ist die Großmutter von Christina Rau geb. Delius, der Frau des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau.
Spur aufgenommen und Recherche
Karsten Bremke
ERASMUS-PROJEKT „DEMOS“, Westfalen-Kolleg Bielefeld
Bielefelder Generalanzeiger vom 10. März 1933. URL