Berta und Artur Sachs waren unter den insgesamt 420 Personen, die am 13. Dezember 1941 mit dem ersten Deportationszug aus der Region Osnabrück und Bielefeld in den Osten „umgesiedelt“ wurden. Sie bestiegen den Zug in Bielefeld, nachdem sie drei Nächte im Kyffhäuser mit anderen Jüdinnen und Juden zusammengepfercht verbringen mussten. Die erste Station ihres nun beginnenden Leidensweges war das jüdische Ghetto in Riga. Artur wurde schnell zur Zwangsarbeit in das Arbeitslager Salaspils (welches er selbst als “Männerlager” beschrieben hat) verlegt, Berta musste in verschiedenen Abteilungen der Wehrmacht in Riga schwere Arbeit verrichten. Sie sagte später dazu, dass die körperlichen Anstrengungen in dieser Zeit sie auf den weiteren Stationen ihres dreieinhalbjährigen Martyriums vor dem Erschöpfungstod bewahrt haben. (Berta Sachs 1986)
Im Oktober 1943 wurden die Eheleute nach und nach in eine Reihe anderer Konzentrations- und Vernichtungslager verbracht. Sie wurden immer wieder voneinander getrennt und oft wussten sie lange nichts voneinander. Berta kam erst in das Konzentrationslager Kaiserwald, dann über die Orte Dundaga (dt. Dondangen) und Liepāja (dt. Libau) in das Konzentrationslager Stutthof, wo sie den Kontakt zu ihrem Mann endgültig verlor: „Ich wußte nichts von meinem Mann. Wir wurden damals in Stutthof sofort getrennt.“ (Berta Sachs 1986)
Weitere kleine Lager und wochenlanges Marschieren und Kampieren unter freiem Himmel Anfang 1945 endeten für Berta mit einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt in Lauenburg. Dort erlebte sie das Kriegsende und sie machte sich auf die Suche nach ihrem Mann, der in Theresienstadt befreit worden war (siehe Erinnerungsbuch Artur Sachs und Artur Sachs 1996). Ein Hinweis in Berlin veranlasste sie, nach Bielefeld zurückzukehren. Und tatsächlich konnte Berta den Aufenthaltsort ihres Mannes ausfindig machen:
„Mein Mann hatte die Adresse von unserer früheren Wohnung (Judenhaus) angegeben. Als ich ankam, war er nicht mehr da. Als ich unten in unserer Wohnung klingelte, öffnete eine Frau. Als sie mich in meiner Aufmachung sah, schlug sie die Tür gleich wieder zu (es war die Frau des früheren NS-Ortsgruppenleiters). Ich ging eine Treppe höher. Eine Dame öffnete. Ich fragte: “Wohnt hier Herr Sachs?” – “Ach, sind Sie Frau Sachs? Dann kommen Sie doch herein.” “Mutter” rief sie, “komm doch schnell mal, Frau Sachs ist hier. Du kennst doch Herrn Sachs, der hier gewohnt hat”. Dann wurde der Tisch gedeckt, frische Brötchen mit Butter und Marmelade und alles Mögliche. Die Wirtin sagte: “Ich schicke meine Tochter mal eben ins christliche Hospiz, da sind alle die vom Lager untergekommen”. […] Nun erfuhr ich, daß mein Mann in der Melanchthonstraße [23, heute womöglich etwa Nr. 45] hier in Bielefeld wohnte. Jemand eilte mit mir dorthin. Das weitere können Sie sich denken.“ (Berta Sachs 1986)
1946 und 1949 kamen die beiden Töchter Judith und Marion zur Welt. Das neu gegründete Textilunternehmen ernährte die Familie von Berta und Artur Sachs und so entschieden sich die Eheleute, trotz starker Zweifel und Bedenken, in Bielefeld zu bleiben. Der „Zeitzeuge der zweiten Generation“ Johannes Thormann kann sich erinnern, dass seine Verwandten aus Lengerich und Lingen nach Bielefeld zur Familie Sachs fuhren, um Hemden der Marke „Sachs Couture“ einzukaufen. Seine Tante Gertrud und ihr Ehemann hielten engen Kontakt zu Berta und Artur, sie verbrachten Urlaube zusammen und besuchten sich regelmäßig gegenseitig (Johannes Thormann 2021).
Auch in dem vordergründig erfolgreichen und gutbürgerlichen Leben nach dem Krieg blieben die Erfahrungen der Jahre 1933 bis 1945 im Hintergrund immer präsent. So schreibt Artur Sachs in seinen Lebenserinnerungen 1986:
„Erst 1950 entschied ich mich endgültig zum Bleiben. Das Geschäft hatte sich zu einem soliden Textilgroßhandel entwickelt. Wenn ich ehrlich bin, so habe ich mich damals so entschieden, weil ich überzeugt war, daß sich so eine schreckliche Geschichte in Deutschland nie wiederholen könnte. Dieser Glaube ist durch die heutigen Entwicklungen, auch wenn sie sich bisher nur im Kleinen zeigen, gründlich zerstört. Nach allem, was in der letzten Zeit geschehen ist, kommen sofort alle schrecklichen Erinnerungen und Ängste wieder hoch. […] Es hilft eben nichts, diese grausamen Erinnerungen bleiben bis an das Lebensende.“ (Artur Sachs 1996)
Spur aufgenommen und Recherche
Arbeitskreis „Spuren jüdischen Lebens in Werther“