Berta Sachs hat Geburtstag

13. Dezember 1941
Karl-Eilers-Straße 10, 33602 Bielefeld

In Wolbeck bei Münster lernte Berta Heilbronn 1940 Artur Sachs kennen. Sie wohnte bei dem Bruder ihres Vaters und wartete „auf gepackten Koffern“ auf ihre Ausreise. Sie hatte alle Papiere zusammen und stand auf der Warteliste für ein Visum nach Amerika. Artur wohnte in Werther und pendelte von dort täglich nach Bielefeld in die Fahrradfabrik Karl Goebel, in der er zwangsverpflichtet arbeiten musste. Berta wartete nicht mehr länger auf ihr Visum, sondern folgte Artur nach Werther und arbeitete ebenfalls in dieser Fabrik. Eine Weile wohnten die beiden dann in Bielefeld in einer Pension. Am 23. Mai 1941 heirateten sie in Werther „nach jüdischem Ritual“ im Hause ihres Schwiegervaters Feodor Sachs. Danach bezogen sie eine Einzimmerwohnung in der Lützowstraße 10 in Bielefeld. Der 13. Dezember 1941 hätte der erste Geburtstag der damals einunddreißigjährigen Berta Sachs als verheiratete Frau mit einer Feier in diesem „Judenhaus“ sein können. Aber dazu kam es leider nicht:

Am 13. Dezember 1941 ging der Transport von Bielefeld ab. Drei Tage vorher waren wir von der Gestapo abgeholt und im Kyffhäuser (Lokal) untergebracht worden. Jeder durfte 50 kg Gepäck mitnehmen. Der Transport kam schon von Münster – Osnabrück, wir waren die letzte Station, und Juden aus dem ganzen Bezirk Bielefeld gingen auf den Transport. Es war mein Geburtstag und ich dachte bei mir, vielleicht ist es ja mein Glückstag.“ (Berta Sachs, 1986)

Die Hoffnung, dass die sogenannte „Umsiedlung“ in den Osten ein glückliches Ende nehmen könnte, war schnell dahin. Nach einer langen Fahrt in einem ungeheizten Zugwaggon fand sich Berta Sachs mit ihrem Ehemann im Ghetto in Riga wieder, in der Wohnung einer lettischen jüdischen Familie, die gerade erst abgeholt und liquidiert worden war. Artur wurde sehr schnell in das Arbeitslager Salaspils (welches er selbst als “Männerlager” beschrieben hat) überstellt, wo er unter unmenschlichen Bedingungen harte körperliche Arbeit verrichten musste. Berta musste unter sehr schwierigen Umständen in verschiedenen Abteilungen der Wehrmacht arbeiten, die in Riga stationiert war.

Über eine unerwartete Begegnung zwischen Berta und der jüngeren Schwester ihrer besten Freundin Gertrud Brinker berichtet Johannes Thormann in einem 2021 aufgezeichneten Gespräch. Seine Mutter Paula Brinker hatte eine Ausbildung als OP-Schwester absolviert und war in dieser Funktion in Riga im Einsatz:

Berta Heilbronn, Berta Sachs hieß sie ja damals schon, war dann eingesetzt erst beim Schneeräumen, und später dann als „Putzfrau“ heißt es so schön in den Texten „bei der Wehrmacht“, und das beinhaltete wohl auch, das ist so mein Kenntnisstand, dass sie auch in der Wäscherei des Lazaretts tätig war. In die Wäscherei kamen ja die Kleidungsstücke der Ärzte und der Schwestern mit den eingenähten Namensschildern. Und da las sie eben den Namen meiner Mutter, Paula Brinker, und hat ihr dann einen Zettel zugesteckt, und dadurch haben die [beiden] dann in dieser Zeit Kontakt gehabt. Das einzige, was meine Mutter tun konnte, war dann, mit der Berta mal ein paar Worte zu wechseln und ihr mal ein bisschen Lebensmittel zuzustecken.“ (Johannes Thormann, 2021)

Die hier berichtete Situation war für Berta Sachs und Paula Brinker mit einem erheblichen Risiko verbunden gewesen. Eine Entdeckung ihrer Aktionen hätte für beide die Todesstrafe zur Folge haben können. Sie blieben aber zum Glück unentdeckt. Sie überlebten und konnten sich so nach dem Krieg häufiger wiedersehen.

Spur aufgenommen und Recherche
Arbeitskreis „Spuren jüdischen Lebens in Werther“

Quellen

  • Arbeitskreis „Spuren jüdischen Lebens in Werther“, Zeitzeugengespräch der zweiten Generation mit Johannes Thormann, 16. Juli 2021
  • Gespräch von Lothar Kurths und Gerhard Sels mit Berta Sachs, geb. Heilbronn, am 2. Januar 1986, erschienen als: Lengericher Geschichte(n), Band 4. Heimatverein für das alte Kirchspiel Lengerich e.V., Lengerich 1998, S. 10-18.
Veröffentlicht am und aktualisiert am 2. Oktober 2024

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