Auktionen jüdischer Vermögen in der Versteigerungshalle Am Bach 12a

Zugang zur Versteigerungshalle Am Bach 12a, ca. 1941; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 11-58-50
Versteigerungsannoncen in den Westfälischen Neuesten Nachrichten v. 22. Januar 1942; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr. 6
Ansicht der späteren Versteigerungshalle Am Bach 12a, 1906; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,5/Bauordnungsamt, Hausakten, Nr. 1999
23. November 1942
Am Bach 12a, 33602 Bielefeld

Am 23. Januar 1942 fanden in der Versteigerungshalle Am Bach 12a Auktionen statt. Die vom Finanzamt bestellten Gerichtsvollzieher Karl Diestelhorst (1890-1948) und Rudolf Ulbricht (1880-1959) versteigerten dort entzogenes Vermögen der knapp sechs Wochen zuvor, am 13. Dezember 1941 nach Riga deportierten Jüdinnen und Juden aus Bielefeld: „Schränke, Tische, Möbel, Bettstellen, Bilder, Haus- und Küchengeräte, Geschirr usw. öffentlich meistbietend“, wie es Anzeigen in den Westfälischen Neuesten Nachrichten und der Westfälischen Zeitung tags zuvor angekündigt hatten.

Grundlage, Ablauf und Dimensionen der Versteigerungen

Grundlage der Enteignung war die am 25. November 1941 erlassene 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz. Die Verwertung des Vermögens fiel dem Finanzamt zu, bei dem eine eigens eingerichtete Abteilung die Wochen nach den Deportationen nutzte, um die Habe zu erfassen und zu taxieren. Den Gerichtsvollziehern fiel aufgrund des staatlichen Gebührensatzes eine Zusatzeinnahme zu.

Die verschiedenen Versteigerungen 1942/43 fanden vor allem in der Auktionshalle, danach im Katholischen Vereinsheim, Heeper Straße 2 (in Sichtweite der Ruine der am 9. November 1938 zerstörten Synagoge) und in früheren Mietgaragen in der Rolandstr. 40 statt. Aus den Auktionen bis Frühjahr 1943 vereinnahmte das Finanzamt nach Abzügen rund 93.000 RM. Eine bevorzugte Mobiliar-Abgabe an „Fliegergeschädigte“ fand in Bielefeld nicht oder kaum statt, da die Stadt zwischen Juli 1941 und Januar 1944 vergleichsweise wenig bombardiert wurde. Die Erwerber sind nicht mehr zu ermitteln, da die Versteigerungsprotokolle an den Oberfinanzpräsidenten in Münster geschickt wurden, wo sie bei einem Luftangriff verloren gingen. Schätzungen über die Bielefelder Dimensionen sind deshalb schwer. Für Hamburg nimmt Frank Bajohr einen Erwerber-Anteil von knapp 5,8 % an der Gesamtbevölkerung an, was umgerechnet einem – statistisch unsicheren – Wert von etwa 7.400 Käufern aus Bielefeld (ohne den Kreis) entspräche.

Zugangsbeschränkungen für die Versteigerungen gab es nicht. Die Herkunft des Auktionsgutes dürfte den meisten Besucherinnen und Besuchern wohl bekannt gewesen sein, zumal sich die Versteigerungen im Gefolge der – alles andere als heimlich geschehenen – Deportation häuften. Die Erwerber der Haushaltsgegenstände, die von einer beispiellosen Schnäppchenjagd profitierten, bleiben bis auf Weiteres unbekannt, da die Versteigerungsprotokolle abschließend an den Oberfinanzpräsidenten in Münster geschickt wurden, wo sie bei einem Luftangriff vollständig vernichtet wurden.

Die Versteigerungshalle

Die Versteigerungshalle wird im Bielefelder Adressbuch 1938 mit der Adresse Am Bach 12 erstmalig als solches erwähnt, wobei die Versteigerungen selbst im Hinterhofgebäude Am Bach 12a stattfanden. 1892 hatte das Gebäude Am Bach 12 seine äußere Form mit dem markanten Erker über der Hofeinfahrt erhalten. Eigentümer des vormaligen Wernekeschen Hauses war damals der Schlossermeister Schwarze, später die Firma Schwarze & Fiedler. Gebäude und rückwärtiger Innenhof wurden mehrfach umgestaltet und überbaut. Im Hinterhof hatte die Nachfolgefirma O. & H. Wickel 1906/07 das Werkstattgebäude 12a errichten lassen, das die Gerichtsvollzieher seit 1936 angemietet hatten und für Versteigerungen nutzten. Beide Gebäude wurden beim Luftangriff vom 30. September 1944 so schwer beschädigt, dass sie 1953 schließlich abgebrochen wurden.

Spur aufgenommen und Recherche
Dr. Jochen Rath,
Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld

Literatur

  • Adler, Hans Günther, Der verwaltete Mensch. Studien zur Deportation der Juden aus Deutschland, Tübingen 1974.
  • Asdonk, Jupp/ Dagmar Buchwald/Lutz Havemann/Uwe Horst/Bernd J. Wagner (Hg.), „Es waren doch unsere Nachbarn!“ – Deportationen in Ostwestfalen-Lippe 1941 – 1945 (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte, Bd. 24), Essen 2014 (2. Aufl.).
  • Bajohr, Frank, „Arisierung“ in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933-45, (Diss. 1997/98) Hamburg 1999.
  • Dreßen, Wolfgang, Betrifft: „Aktion 3“. Deutsche verwerten jüdische Nachbarn. Dokumente zur Arisierung, Berlin 1998.
  • Kenkmann, Alfons/Bernd-A. Rusinek (Hrsg.), Verfolgung und Verwaltung. Die wirtschaftliche Ausplünderung der Juden und die westfälischen Finanzbehörden, Münster 1999.
  • Kuller, Christiane, Bürokratie und Verbrechen. Antisemitische Finanzpolitik und Verwaltungspraxis im nationalsozialistischen Deutschland (Das Reichsfinanzministerium im Nationalsozialismus, Bd. 1), München 2013.
  • Schilde, Kurt, Bürokratie des Todes – Lebensgeschichten jüdischer Opfer des NS-Regimes im Spiegel von Finanzamtsakten, Berlin 2002.
  • Schmid, Hans-Dieter, „Finanztod“. Die Zusammenarbeit von Gestapo und Finanzverwaltung bei der Ausplünderung der Juden in Deutschland, in: Gerhard Paul/Klaus-Michael Mallmann (Hrsg.), Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg. „Heimatfront“ und besetztes Europa, Darmstadt 2000, S. 141-154
  • Stengel, Katharina (Hrsg.), Vor der Vernichtung. Die staatliche Enteignung der Juden im Nationalsozialismus (Wissenschaftliche Reihe des Fritz-Bauer-Instituts, Bd. 15), Frankfurt am Main u.a. 2007.

Quellen

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,5/Bauordnungsamt, Hausakten, Nr. 1999: Am Bach 12a
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,5/Bauordnungsamt, Hausakten, Nr. 3048: Am Bach 12
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,5/Ausgleichsamt, Nr. 10503: Am Bach 12 und 12a
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr. 6: Westfälische Neueste Nachrichten
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr. 50: Westfälische Zeitung
  • Adressbücher Bielefeld 1938 und 1940
  • Überlieferung im Landesarchiv NRW, Abteilung Westfalen (Bestand Oberfinanzpräsident/Oberfinanzdirektion) und Abteilung Ostwestfalen-Lippe (Bestand Finanzamt Bielefeld)
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