Am 23. Januar 1942 fanden in der Versteigerungshalle Am Bach 12a Auktionen statt. Die vom Finanzamt bestellten Gerichtsvollzieher Karl Diestelhorst (1890-1948) und Rudolf Ulbricht (1880-1959) versteigerten dort entzogenes Vermögen der knapp sechs Wochen zuvor, am 13. Dezember 1941 nach Riga deportierten Jüdinnen und Juden aus Bielefeld: „Schränke, Tische, Möbel, Bettstellen, Bilder, Haus- und Küchengeräte, Geschirr usw. öffentlich meistbietend“, wie es Anzeigen in den Westfälischen Neuesten Nachrichten und der Westfälischen Zeitung tags zuvor angekündigt hatten.
Grundlage der Enteignung war die am 25. November 1941 erlassene 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz. Die Verwertung des Vermögens fiel dem Finanzamt zu, bei dem eine eigens eingerichtete Abteilung die Wochen nach den Deportationen nutzte, um die Habe zu erfassen und zu taxieren. Den Gerichtsvollziehern fiel aufgrund des staatlichen Gebührensatzes eine Zusatzeinnahme zu.
Die verschiedenen Versteigerungen 1942/43 fanden vor allem in der Auktionshalle, danach im Katholischen Vereinsheim, Heeper Straße 2 (in Sichtweite der Ruine der am 9. November 1938 zerstörten Synagoge) und in früheren Mietgaragen in der Rolandstr. 40 statt. Aus den Auktionen bis Frühjahr 1943 vereinnahmte das Finanzamt nach Abzügen rund 93.000 RM. Eine bevorzugte Mobiliar-Abgabe an „Fliegergeschädigte“ fand in Bielefeld nicht oder kaum statt, da die Stadt zwischen Juli 1941 und Januar 1944 vergleichsweise wenig bombardiert wurde. Die Erwerber sind nicht mehr zu ermitteln, da die Versteigerungsprotokolle an den Oberfinanzpräsidenten in Münster geschickt wurden, wo sie bei einem Luftangriff verloren gingen. Schätzungen über die Bielefelder Dimensionen sind deshalb schwer. Für Hamburg nimmt Frank Bajohr einen Erwerber-Anteil von knapp 5,8 % an der Gesamtbevölkerung an, was umgerechnet einem – statistisch unsicheren – Wert von etwa 7.400 Käufern aus Bielefeld (ohne den Kreis) entspräche.
Zugangsbeschränkungen für die Versteigerungen gab es nicht. Die Herkunft des Auktionsgutes dürfte den meisten Besucherinnen und Besuchern wohl bekannt gewesen sein, zumal sich die Versteigerungen im Gefolge der – alles andere als heimlich geschehenen – Deportation häuften. Die Erwerber der Haushaltsgegenstände, die von einer beispiellosen Schnäppchenjagd profitierten, bleiben bis auf Weiteres unbekannt, da die Versteigerungsprotokolle abschließend an den Oberfinanzpräsidenten in Münster geschickt wurden, wo sie bei einem Luftangriff vollständig vernichtet wurden.
Die Versteigerungshalle wird im Bielefelder Adressbuch 1938 mit der Adresse Am Bach 12 erstmalig als solches erwähnt, wobei die Versteigerungen selbst im Hinterhofgebäude Am Bach 12a stattfanden. 1892 hatte das Gebäude Am Bach 12 seine äußere Form mit dem markanten Erker über der Hofeinfahrt erhalten. Eigentümer des vormaligen Wernekeschen Hauses war damals der Schlossermeister Schwarze, später die Firma Schwarze & Fiedler. Gebäude und rückwärtiger Innenhof wurden mehrfach umgestaltet und überbaut. Im Hinterhof hatte die Nachfolgefirma O. & H. Wickel 1906/07 das Werkstattgebäude 12a errichten lassen, das die Gerichtsvollzieher seit 1936 angemietet hatten und für Versteigerungen nutzten. Beide Gebäude wurden beim Luftangriff vom 30. September 1944 so schwer beschädigt, dass sie 1953 schließlich abgebrochen wurden.
Spur aufgenommen und Recherche
Dr. Jochen Rath,
Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld