Am 13. Dezember 1941 wurden 420 Jüdinnen und Juden von Bielefeld aus in das Ghetto „Riga“ deportiert. Für die meisten von ihnen war unsere Stadt Ausgangspunkt für die „Reise“ in den Tod. Nach kurzer Fahrt kamen die Deportationsopfer, die vor dem Sammellager „Kyffhäuser“ in Stadtbusse gestiegen waren, am Haupt- und Güterbahnhof an. Ihr Handgepäck und mehrere schwere Kisten waren dort mit dem gleichen Ziel auf offene Pferdewagen verladen worden.
Am Zoll- und Güterschuppen des Bahnhofs standen die Jüdinnen und Juden, nachdem sie aus den Bussen ausgestiegen waren, in einer langen Warteschlange und warteten darauf, dass ihnen ihr Handgepäck ausgehändigt wurde. Auch diese Ereignisse dürften nicht unbemerkt geblieben sein: Bewohnerinnen und Bewohner der „Wohnblocks der Großen-Kurfürsten-Straße [konnten] von ihren Fenstern aus, dieses ungewöhnliche Treiben auf diesem Bahnhofsabschnitt über Stunden“ beobachten (Minninger 2008, S. 453 f.).
Auch diese Szenen wurden von dem von der Gestapo beauftragten „Fotografen“ für die „Kriegschronik der Stadt Bielefeld“ dokumentiert. Eines der Fotos zeigt das Ehepaar Jenny und Heinrich Mayer, 29 und 31 Jahre alt, im Hintergrund ein vergittertes Fenster des Güterschuppens an ihrem ersten Hochzeitstag. Beide haben die Deportation nach Riga nicht überlebt. Die junge Frau trägt zwei Mäntel – einen hellen und einen dunklen – übereinander und reagierte damit auf die Vorschrift, dass das Reisegepäck auf 50 kg pro Person beschränkt war. Weil beide Mäntel geöffnet sind, kann man auf ihrer Brust ein Pappschild mit der Transportnummer „750“ und zum Teil den aufgenähten „Judenstern“ erkennen.
Auf einem weiteren Bild, das ebenfalls ganz in der Nähe der Güterschuppen fotografiert wurde, ist eine „Gruppe jüdischer Männer“ zu sehen, die eine „Kiste mit Schwergepäck“ verladen. Monika Minninger schreibt dazu:
„Laut Einzelanweisung der Gestapo war für die ‚Umsiedlung‘ die Mitnahme von Handwerks- und Ackerbaugeräten empfohlen worden und so gingen denn selbst Öfen auf die Reise.“ (Minninger 2008, S. 454 f.)
Einer dieser Männer, zu erkennen an der weißen Armbinde, ist Artur Sachs. Seine Frau Berta und er gehören zu den wenigen, die diese Deportation überlebt haben. Die anderen Personen können nicht sicher identifiziert werden.
Die „Richtlinien zur Durchführung der Evakuierung von Juden“ zeigen in Bezug auf das Gepäck, das mitgenommen werden durfte, ganz deutlich, dass die Organisatoren dieser Deportation alles taten, um diese Aktion als „Umsiedlung“ zu tarnen. Inoffiziell bestand bereits fest, dass es sich um eine Maßnahme zur „Endlösung der Judenfrage“ handelte.
Bernd J. Wagner beschreibt die Umstände am Sondergleis:
„Als der Zug am frühen Nachmittag aus Münster kommend in Bielefeld eintraf, herrschen auf dem schmalen Bahnsteig katastrophale Verhältnisse. […] Die Bielefelder Deportationsopfer mussten mit ihrem Handgepäck an den Waggons vorbeilaufen, um die ihnen zugeteilten Abteile zu erreichen.“ (Wagner 2012, S. 80)
Sie durften ihre Rucksäcke, Taschen u. ä. mit in den Zug nehmen, während das schwere Gepäck in einen Extrawaggon verladen wurde.
Der bereits erwähnte Artur Sachs gibt in seinen „Lebenserinnerungen“ auch Auskunft über den Verbleib des Gepäcks nach Ankunft des Deportationszuges im lettischen Riga:
„Unser Handgepäck wurde uns abgenommen, wir haben es nie wiedergesehen, genauso wenig wie unsere 100 Pfund Habseligkeiten.” (Sachs 2010, S. 12)
Spur aufgenommen und Recherche
Lutz Havemann
Initiativkreis Erinnern und Gedenken in OWL