Mar­ga­re­te Feist – Lei­te­rin des jü­di­schen Al­ters­heims

Das Haus Stapenhorststraße 35 diente von 1939 bis 1942 als jüdisches Altersheim. Margarete Feist war hier von 1939-1942 als Leiterin tätig.
Das Haus Stapenhorststraße 35 diente von 1939 bis 1942 als jüdisches Altersheim. Margarete Feist war hier von 1939-1942 als Leiterin tätig. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 14-903-012.
Die Familie Pinthus mit Kindern und Schwiegerkindern im Jahr 1921. Bei den beiden Personen ganz links könnte es sich um das Ehepaar Margarete und Max Feist handeln.
Die Familie Pinthus mit Kindern und Schwiegerkindern im Jahr 1921. Bei den beiden Personen ganz links könnte es sich um das Ehepaar Margarete und Max Feist handeln. Gedruckt in: Feist, Chanan, The Odyssey of my Parents from the Nazis to freedom, Rehovot 1991.
Eintrag von Margarete Feist im Hausbuch Stapenhorststr. 35.
Eintrag von Margarete Feist im Hausbuch Stapenhorststr. 35. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 1576
Todesanzeige zu Margarete Feist aus dem
Todesanzeige zu Margarete Feist aus dem "Ghetto Theresienstadt". Quellen: Národní archiv, Praha, Matriky židovských náboženských obcí v českých krajích, (1730) 1784-1949 (2011), Ohledací listy – ghetto Terezín, Feist Margarethe, svazek 54 (National Archives, Prague, Registers of Jewish religious communities in the Czech regions, Death certificates – Ghetto Terezín, Feist Margarethe, volume 54).
28. Juli 1942
Sta­pen­horst­stra­ße 35, 33615 Bie­le­feld

Toch­ter aus gu­tem Hau­se, po­li­tisch en­ga­gier­te Ehe­frau, selbst­stän­di­ge Kauf­frau, Lei­te­rin ei­nes Al­ters­heims – Mar­ga­re­te Feist war es ge­wohnt, auf ei­ge­nen Fü­ßen zu ste­hen. Auf wel­chen We­gen die 57-jäh­ri­ge Thü­rin­ge­rin im Herbst 1939 nach Bie­le­feld ge­lang­te, um dort die Lei­tung des neu ge­grün­de­ten Jü­di­schen Al­ters­heims zu über­neh­men, ist nicht be­kannt. Viel­leicht er­fuhr sie durch ein Stel­len­in­se­rat im Jü­di­schen Nach­rich­ten­blatt, der letz­ten jü­di­schen Zei­tung, die im Deut­schen Reich zwi­schen 1938 und 1943 noch er­schei­nen durf­te, von der neu zu be­set­zen­den Po­si­ti­on.

Das Al­ters­heim an der Sta­pen­horst­str. 35 war un­ter dem Druck der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Po­li­tik zur Se­pa­rie­rung von jü­di­schen und „ari­schen“ Ein­woh­ne­rin­nen und Ein­woh­ner durch die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland (RVJD) ein­ge­rich­tet wor­den und nahm ab Mit­te Ok­to­ber 1939 die ers­ten Be­woh­ne­rin­nen und Be­woh­ner auf.

Von Nordhausen nach Aachen

Mar­ga­re­te Pin­thus, wie sie mit Ge­burts­na­men hieß, ent­stammt der in Nord­hau­sen le­ben­den jü­di­schen Kauf­haus­be­sit­zer-Fa­mi­lie Pin­thus. Ge­bo­ren am 20. Ja­nu­ar 1882 in Zit­tau, Sach­sen, wuchs sie im thü­rin­gi­schen Nord­hau­sen auf, wo ihre El­tern Gus­tav und Ama­lie Pin­thus, geb. Ja­co­bi, sich im Jahr ih­rer Ge­burt nie­der­ge­las­sen hat­ten. Ihr Va­ter er­öff­ne­te dort ein Ge­schäft, das sich zum größ­ten Kauf­haus des Or­tes ent­wi­ckel­te. Die­ses blieb im Fa­mi­li­en­be­sitz, bis es 1938 von den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten be­schlag­nahmt wur­de. Die Fa­mi­lie Pin­thus war groß: Mar­ga­re­te hat­te drei Brü­der und vier Schwes­tern. Alle Kin­der er­hiel­ten eine gute Aus­bil­dung und hat­ten Kennt­nis­se in Li­te­ra­tur, Spra­chen und Mu­sik. Die Söh­ne konn­ten stu­die­ren.

Am 12. Juni 1905 hei­ra­te­te Mar­ga­re­te den Fo­to­gra­fen Max Feist, der ein Fo­to­ate­lier in Aa­chen führ­te, und zog zu ihm. Eine ih­rer äl­te­ren Schwes­tern, Lu­cie, war mit Max Bru­der Ju­li­us Feist ver­hei­ra­tet und leb­te ganz in der Nähe in Köln. Mar­ga­re­te Feist und ihr Mann wa­ren po­li­tisch en­ga­giert. Mar­ga­re­te Feist lei­te­te die Orts­grup­pe der Deut­schen Frie­dens­ge­sell­schaft in Aa­chen und das kin­der­lo­se Paar spen­de­te für die „Neue Ge­ne­ra­ti­on“, die Zeit­schrift des Bunds für Mut­ter­schutz und Se­xu­al­re­form, her­aus­ge­ge­ben von der Fe­mi­nis­tin He­le­ne Stö­cker. 1919 kan­di­dier­ten Mar­ga­re­te und Max Feist bei den Wah­len zur Na­tio­nal­ver­samm­lung für die Un­ab­hän­gi­ge So­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Par­tei USPD.

Nach dem Tod ih­res Man­nes am 11. Fe­bru­ar 1924 blieb Mar­ga­re­te Feist zu­nächst in Aa­chen und führ­te wohl das Fo­to­ate­lier wei­ter. Bis 1932 ist sie im dor­ti­gen Adress­buch un­ter der Ate­lier­adres­se Thea­ter­platz 1 als Kauf­frau ver­zeich­net. Da­nach ver­liert sich ihre Spur, viel­leicht zog sie nach Nord­hau­sen zu ih­rer Fa­mi­lie zu­rück.

Lei­tung des „Al­ten­heims“ in Bie­le­feld und De­por­ta­ti­on

In Bie­le­feld tritt sie ab dem 18. Sep­tem­ber 1939 als „An­stalts­lei­te­rin“ in Er­schei­nung. Ihr Wohn­ort war zu­gleich ihr Ar­beits­ort: das zum Al­ters­heim um­ge­wan­del­te Haus der jü­di­schen Fa­mi­lie Por­ta. Über ihr Le­ben und ihre Ar­beit in den Jah­ren 1939 bis 1942 kann nur ge­mut­maßt wer­den. Mit zwei Haus­ge­hil­fin­nen und ei­ner ge­le­gent­li­chen Aus­hilfs­kraft hat­te sie sich un­ter schwie­ri­gen Be­din­gun­gen um die bis zu 41 Be­woh­ne­rin­nen und Be­woh­ner im Al­ter von 52 bis 97 Jah­ren zu küm­mern. Für de­ren Ver­sor­gung stan­den in dem Haus, das als groß­bür­ger­li­ches Wohn­haus ur­sprüng­lich für eine Fa­mi­lie kon­zi­piert war, eine Kü­che, ein klei­nes Ba­de­zim­mer und drei Toi­let­ten zur Ver­fü­gung.

Am 28. Juli 1942 wur­de das Al­ters­heim zur De­por­ta­ti­on ge­räumt. Mar­ga­re­te Feist wur­de mit al­len Be­woh­ne­rIn­nen des Heims so­wie mit an­de­ren Jü­din­nen und Ju­den zu­nächst in Sam­mel­stel­len wie der Gast­stät­te „Kyffhäuser“ und dem Ver­eins­haus „Eintracht“ zu­sam­men­ge­pfercht. Am 31. Juli 1942 er­folg­te vom Bie­le­fel­der Bahn­hof aus die De­por­ta­ti­on mit dem so­ge­nann­ten Altentransport in das Ghetto Theresienstadt. Dort starb Mar­ga­re­the Feist nur we­nig spä­ter am 30. No­vem­ber 1942, im Al­ter von 60 Jah­ren. Als To­des­ur­sa­che wur­de eine bak­te­ri­el­le In­fek­ti­on an­ge­ge­ben.

Spur aufgenommen und Recherche
An­net­te Mey­er zu Barg­holz
Ge­schichts­werk­statt der VHS

Li­te­ra­tur

  • Die Neue Generation, Jg. 17, 1921
  • Feist, Chanan, The Odyssey of my Parents from the Nazis to freedom, Rehovot 1991.
  • Minninger, Monika/Meynert, Joachim/Schäffer, Friedhelm (Hrsg.), Antisemitisch Verfolgte registriert in Bielefeld 1933-45. Eine Dokumentation jüdischer Einzelschicksale (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 4) Bielefeld, 1985

Quel­len

  • Aachener Anzeiger vom 17. Januar 1919. URL
  • Adressbuch der Stadt Aachen, Jahrgänge 1924-1933
  • Landesarchiv NRW, Abt. OWL, Bestand D27 Nr. 7053
  • Stadtarchiv Bielefeld, 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 18.: Meldekartei Bielefeld-Mitte, 1920-1958
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 1576
  • Stadtarchiv Nordhausen, Heiratsregister Feist/Pinthus, 90/1905
Veröffentlicht am und aktualisiert am 27. Januar 2025

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