Das Gesellschaftshaus der „Eintracht“ am Klosterplatz als Sammelort für Deportationen

Ansicht des Klosterplatzes mit dem Vereinshaus „Eintracht“ (rechts), um 1930.
Ansicht des Klosterplatzes mit dem Vereinshaus „Eintracht“ (rechts), um 1930. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 95-009-025.
Ansicht des Vereinshauses „Eintracht“ vom Klosterplatz, um 1930.
Ansicht des Vereinshauses „Eintracht“ vom Klosterplatz, um 1930. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr.11-1196-018.
Ansicht auf das nach dem 2. Weltkrieg gebaute und 1989 abgerissene Vereinshaus, um 1960.
Ansicht auf das nach dem 2. Weltkrieg gebaute und 1989 abgerissene Vereinshaus, um 1960. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,4/Fotoalben, Nr.116.
31. Juli 1942
Ritterstraße 1, 33602 Bielefeld

Das Gesellschaftshaus „Eintracht“ am Klosterplatz war insgesamt vier Mal eine Sammelstelle für Jüdinnen und Juden, bevor sie deportiert wurden. Die Deportationen fanden jeweils am 31. Juli 1942 nach Theresienstadt, am 2. März 1943 nach Auschwitz, am 12. Mai 1943 nach Theresienstadt und am 19. September 1944 nach Elben und Zeitz statt. Aufzeichnungen über die Situation im Gesellschaftshaus als Sammelstelle gibt es wenige – in Folge des alliierten Luftangriffs auf Bielefeld am 30. September 1944 wurde das Gebäude mit dem hauseigenen Archiv zerstört. Eine vorliegende Information ist, dass für die Deportation am 19. September 1944 die Verbliebenen der jüdischen Gemeinde die im Gesellschaftshaus Eingewiesenen besuchten und sie mit Verpflegung versorgten. Ähnlich ist es auch beim Versammlungshaus „Kyffhäuser“ beschrieben. Der Saal des „Kyffhäusers“ war gänzlich gefüllt und die Verbliebenen aus der jüdischen Gemeinde besuchten sie, um sie zu verpflegen. Es durften maximal 20-25kg Handgepäck mitgenommen werden und wenn der eigene Name aufgerufen wurde, musste sich die betroffene Person melden. Mit der Markierung als „Reichsfeinde“ wurde der restliche Besitz der Jüdinnen und Juden beschlagnahmt. Trotz der geringen Quellenlage zur „Eintracht“ kann davon ausgegangen werden, dass die Vorbereitung zur Deportation dort ähnlich ablief wie im „Kyffhäuser“.

Paul Hoffmann als Betroffener

Einer von den Deportationen betroffener war Paul Hoffmann. Dieser arbeitete zunächst im „Umschulungslager“ in der Schloßhofstraße 73a. Während bereits Gerüchte über Erschießungen und Vergasungen die Runde machten, stellte sich heraus, dass Paul sich innerhalb von zwei Tagen mit seinem Gepäck für die Deportation in der „Eintracht“ einfinden müsse. Er war zusammen mit seiner Verlobten Lotte Windmöller in einer Garderobe des Gesellschaftshauses der „Eintracht“ untergebracht, bevor sie nach Auschwitz deportiert wurden. Mit den Worten „Aber wir werden schon durchhalten“, schließt Paul Hoffmann einen Brief an eine Freundin und auch Lotte zeigte sich zuversichtlich. Paul Hoffmann überlebte den Holocaust, seine Verlobte Lotte jedoch nicht.

Das Gesellschaftshaus der „Eintracht“ vor und nach der Zeit des Nationalsozialismus

Die Gesellschaft „Eintracht“ wurde 1847 als Ort für politische Diskussionen gegründet. 1862 fand der Umzug in die Ritterstraße 37 (heute Ritterstraße 1) statt. Die Räumlichkeiten wurden nicht nur von den Mitgliedern der „Eintracht“ für politische Diskussionen und von den Mitgliedern des Männerchores „Arion“ verwendet, die meist gegenseitige Mitglieder waren. Denn auch Kulturprogramme fanden in der „Eintracht“ statt, auch während der zwei Weltkriege. Seit der Gründung der „Eintracht“ gab es viele musikalische Abende, jedoch auch Tanzaufführungen oder einen Plattdeutschen Vortragsabend, die sehr gut besucht waren. Mit der Zerstörung des Gebäudes am 30. September 1944 waren keine Veranstaltungen mehr möglich. An derselben Stelle wurde 1954 von der „Eintracht“ und dem Verein „Ressource“, welcher seine Besitzungen verkaufte, ein neues Gebäude eröffnet, in welchem zwar auch Veranstaltungen stattfanden, sie jedoch nicht mehr stark besucht waren. Die finanzielle Lage der „Eintracht“ und „Ressource“ reichten nicht aus, um selbst das Gebäude zu unterhalten. Nach mehreren Pächtern und einem stetig schlechter werdenden Zustand des Hauses, wurde das Gesellschaftshaus schließlich 1984 verkauft und 1989 abgerissen. Heute befindet sich an der Stelle ein neues Gebäude, in dem die „Komödie am Klosterplatz“ untergebracht ist.

Spur aufgenommen und Recherche
Christoph Joseph Fügner
Universität Bielefeld

Literatur

  • Asdonk, Jupp / Buchwald, Dagmar / Havemann, Lutz / Horst, Uwe / Wagner, Bernd J. (Hrsg.), „Es waren doch unsere Nachbarn!“, Deportationen in Ostwestfalen-Lippe 1941-1945 (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 24), Bielefeld 2012
  • Ferrari, Rolf-Joachim, 150 Jahre Gesellschaft Eintracht Bielefeld 1847-1997, Bielefeld 1997
  • Hoffmann, Daniel, Lebensspuren meines Vaters. Eine Rekonstruktion aus dem Holocaust, Göttingen 2007
  • Minninger, Monika (Hrsg.), Aus einer Hochburg des Reformjudentums. Quellensammlung zum Bielefelder Judentum des 19. und 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2006
  • Minninger, Monika / Klussmann, Rita / Stüber, Anke (Hrsg.) Einwohner – Bürger – Entrechtete. Sieben Jahrhunderte jüdisches Leben im Raum Bielefeld (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 6), Bielefeld 1988

Quellen

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,4/Fotoalben, Nr.116
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 567
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 568
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 1586
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 6054
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 6084
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 6119
Veröffentlicht am

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