Der „Marschbefehl“ des Oberbürgermeisters der Stadt Düsseldorf vom 19. Juni 1945 für den Dreher Hugo Wörmann enthält die Order, dass er sich „auf dem kürzesten Wege nach Bielefeld in Marsch zu setzen habe.“ Die Dienststellen der deutschen Behörden werden darin gebeten “ihn ungehindert passieren zu lassen und ihm notfalls Hilfe zu gewähren.” Diese Unterstützung hatte Hugo Wörmann dringend notwendig. Durch die „brutalen Vernehmungsmethoden der Gestapo“ und dem „grausamen Strafvollzug“ während seiner neunzehnmonatigen Haft im Untersuchungsgefängnis und in verschiedenen Zuchthäusern war Hugo Wörmann in einem schlechten körperlichen Zustand und stark abgemagert. Ohne fremde Hilfe konnte er auch mit Hilfe von Krücken nur wenige Schritte selbstständig gehen.
Seine Familie lebte zu dieser Zeit in der Althoffstraße 9. Dieses Haus gehörte auch zur Baugenossenschaft „Freie Scholle“, die bereits 1914 damit begonnen hatte, Wohnungen für Arbeiterfamilien zu bauen. Auch nach der „Machtübernahme“ durch die NSDAP wählten bei den Reichstagswahlen 1933 – trotz Terror und Gewalt – zahlreiche Genossenschaftsmitglieder traditionell „rot“. Viele Frauen und Männern, die in unserer Stadt im Widerstand waren, wie Else Zimmermann, Paul Aude, Fritz Bockhorst, Bruno Brockhoff, Hermann Wörmann u.a. lebten zu jener Zeit in diesem Quartier.
Wie die Nachbarn aus der Althoffstraße erfuhren, mit welchem Zug aus Düsseldorf Hugo Wörmann im Juni 1945 in Bielefeld eintreffen würde und in welchem körperlichen Zustand er sich befand, ist nicht überliefert. Auf jeden Fall waren sie zahlreich zum Bahnhof gekommen, um den auf Krücken gestützten und von der Haft gezeichneten Widerstandskämpfer zu empfangen und abzuholen. Einer der Genossen hatte einen Stuhl mitgebracht, auf dem sich Hugo Wörmann während des Fußwegs zum „5. Kanton“ immer wieder ausruhen konnte.
Wenige Tage nach seiner Ankunft in Bielefeld bekam Hugo die schreckliche Nachricht, dass sein sechs Jahre älterer Bruder „Hermann“, mit dem er eng im Widerstand zusammengearbeitet hatte, nicht mehr am Leben sei. Der II. Senat des Volksgerichtshofs in Bielefeld hatte Hermann Wörmann am 4. Juli 1944 wegen „Rundfunkverbrechens“ und „Vorbereitung zum Hochverrat“ zum Tode verurteilt. Seine Hinrichtung wurde am 15. September 1944 im Gerichtsgefängnis Dortmund vollzogen. Hugo konnte nicht informiert werden, weil er zu dieser Zeit in der Strafanstalt Ludwigsburg einsaß.
Hugo Wörmann wurde bei seiner Verhaftung am 23. November 1943, wie seinem Bruder Hermann, unter anderen auch das „Abhören von Feindsendern“ vorgeworfen. In seinem Antrag auf Wiedergutmachung beschreibt er nach Kriegsende auch die Beschlagnahme des Rundfunkgeräts:
„Am Tage meiner Verhaftung wurde durch die Organe der Gestapo in meiner Wohnung ein Radio-Gerät Marke Blaupunkt beschlagnahmt. Ich habe dieses Gerät im Frühjahr 1943 bei der Fa. Radio Grube zum Preise von 320 RM erworben.“
Wie wichtig es ihm war dieses Radio zurück zu bekommen, zeigt sein Brief in englischer Sprache, den er bereits einen Monat nach seiner Rückkehr an den britischen Stadtkommandanten schrieb.
Nach seiner Rückkehr war Hugo Wörmann kein ‚gebrochener Mann‘, er fand schnell wieder Arbeit, kam zurück ins Leben, kämpfte aber um seine Rechte als Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung.
Hugo war auch weiterhin politisch aktiv, gehörte aber keiner Partei mehr an. Die Gründe dafür sind vermutlich, dass Mitglieder „seiner“ KPD, auch schon vor dem Verbot dieser Partei im August 1956, in der Bundesrepublik und auch in Bielefeld, wieder politisch verfolgt wurden.
Spur aufgenommen und Recherche
Christina Brechmann, Lutz Havemann
Arbeitskreis „Bielefelder Arbeiter*innen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus“
Wir bedanken uns ganz herzlich bei der Enkelin, dem Enkel und dem Urenkel von Hugo Wörmann. Ohne Ihre Bereitschaft mit uns über ihren Großvater/Urgroßvater zu sprechen wäre diese “Spur” so nicht zustande gekommen. Die Dokumente, die Briefe und Fotos die sie uns zur Verfügung gestellt haben, runden das authentische Bild von Hugo Wörmann ab. Dies war ein Kontrastprogramm zu unseren sonstigen Recherchen, bei denen wir meistens in Archiven staubige Akten wälzen.