De­por­ta­ti­on von Jü­din­nen und Ju­den am 28. Juni 1943 aus Bie­le­feld nach The­re­si­en­stadt

Portrait von Therese Herz. Mit 84 Jahren ist sie am 28. Juni 1943 aus Bielefeld nach Theresienstadt deportiert worden – sie verstarb dort vier Monate später.
Portrait von Therese Herz. Mit 84 Jahren ist sie am 28. Juni 1943 aus Bielefeld nach Theresienstadt deportiert worden – sie verstarb dort vier Monate später. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 95-013-139.
Eine von den Nationalsozialisten verklärte Briefmarke, die einen festen Alterswohnsitz in Theresienstadt für die Jüdinnen und Juden aus dem „Altreich“ suggerieren sollte.
Eine von den Nationalsozialisten verklärte Briefmarke, die einen festen Alterswohnsitz in Theresienstadt für die Jüdinnen und Juden aus dem „Altreich“ suggerieren sollte. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3, Nr. 95-013-138
28. Juni 1943
Haupt­bahn­hof Bie­le­feld, 33602 Bie­le­feld

Die De­por­ta­ti­on am 28. Juni 1943 war die letz­te Ver­schlep­pung von Jü­din­nen und Ju­den aus Bie­le­feld, die of­fi­zi­ell im Rah­men der „End­lö­sung der Ju­den­fra­ge“ statt­fand – wei­te­re De­por­ta­tio­nen fan­den den­noch bis 1945 auch aus Bie­le­feld statt. Mit der De­por­ta­ti­on vom 2. März 1943 nach Auschwitz war das „Um­schu­lungs­la­ger“ in der Schloss­hof­stra­ße 73a of­fi­zi­ell auf­ge­löst wor­den. Le­dig­lich die Be­woh­ne­rin­nen und Be­woh­ner des dor­ti­gen „Sie­chen­heims“ wur­den zu­rück­ge­stellt. Vie­le wur­den am 12. Mai 1943 in das Ghet­to nach The­re­si­en­stadt de­por­tiert. Die letz­ten Be­woh­ne­rin­nen und Be­woh­ner folg­ten schließ­lich am 28. Juni 1943. Ih­nen muss­ten vie­le In­sas­sen der „Ju­den­häu­ser“ Lüt­zow­stra­ße 10, La­er­stra­ße 9 und Ko­blen­zer Stra­ße 4 fol­gen. Vie­le der „Ju­den­häu­ser“ und an­de­re Un­ter­künf­te, in de­nen Jü­din­nen und Ju­den un­ter Zwang le­ben muss­ten, wur­den am 28. Juni 1943 von der Ge­sta­po ‚leer­ge­zo­gen‘. Le­dig­lich so­ge­nann­te Misch­ehe­part­ne­rin­nen und -part­ner ver­blie­ben wei­ter­hin in Bie­le­feld.

„Leer­zug“ und De­por­ta­ti­on

In Bie­le­feld muss­ten 25 Jü­din­nen und Ju­den in den Zug ein­stei­gen, die zu­vor auch dort ge­mel­det ge­we­sen wa­ren (Liste). Le­dig­lich fünf von ih­nen über­leb­ten die Schoah. In dem Zug be­fan­den sich dar­über hin­aus neun wei­te­re Per­so­nen, die aus Dort­mund Rast­dorf stamm­ten. Sie wa­ren zu­vor ver­mut­lich nach Müns­ter ge­bracht wor­den, von wo aus der Zug nach heu­ti­gem Kennt­nis­stand star­te­te.

Die Aus­wahl der zu de­por­tie­ren­den Per­so­nen nahm er­neut die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland (RVJD) vor. Ei­ni­ge wich­ti­ge Funk­tio­nä­re wa­ren schon ein Jahr zu­vor, am 31. Juli 1942 nach Theresienstadt de­por­tiert wor­den. Letzt­lich ver­ant­wort­lich war al­ler­dings die Gestapo-Außenstelle Bielefeld. Die Bie­le­fel­der Be­am­ten wa­ren es, die die RVJD be­auf­trag­ten, un­ter Zwang die De­por­ta­ti­ons­lis­te zu­sam­men zu stel­len.

Die be­trof­fe­nen Bie­le­fel­der Jü­din­nen und Ju­den muss­ten sich bis zum 27. Juni 1943 im Ver­eins­haus „Ein­tracht“ (heu­te: Rit­ter­stra­ße) ein­fin­den. Über den wei­te­ren Ab­lauf ist nichts be­kannt. Es ist aber da­von aus­zu­ge­hen, dass die Ein­quar­tie­rung im Sam­mel­la­ger „Ein­tracht“ und die Ent­nah­me der Wert­sa­chen durch die Ge­sta­po ähn­lich ver­lief, wie bei ver­gan­ge­nen De­por­ta­tio­nen. Sie durf­ten Ge­päck im Um­fang von 25 Ki­lo­gramm mit­neh­men – dar­un­ter Koch­ge­schirr, De­cken und per­sön­li­che Ge­gen­stän­de – und die Klei­dung, die sie tru­gen. Ihre Wert­sa­chen sa­hen sie nie wie­der.

Ver­mut­lich tra­ten sie den Weg vom Sam­mel­la­ger „Ein­tracht“ zu Fuß quer durch die Bie­le­fel­der In­nen­stadt an. Am Haupt­bahn­hof stie­gen sie an­schlie­ßend in den Zug und wur­den in das Ghet­to nach The­re­si­en­stadt in der heu­ti­gen Tsche­chi­schen Re­pu­blik ge­bracht.

Er­in­ne­rung in Bie­le­feld

An die De­por­ta­tio­nen aus Bie­le­feld, in de­nen mehr als 1800 Jü­din­nen und Ju­den aus dem heu­ti­gen Ost­west­fa­len-Lip­pe und Schaum­burg-Lip­pe de­por­tiert wur­den, er­in­nert das Mahnmal vor dem Bielefelder Bahnhof. Es nennt nicht nur alle bis­her be­kann­ten Na­men, die am Bie­le­fel­der Haupt­bahn­hof in die „Züge in den Tod“ ein­stei­gen muss­ten, son­dern sym­bo­li­siert da­durch auch die Zen­tra­li­sie­rung der Ver­fol­gung in Bie­le­feld aus der Re­gi­on.

Spur aufgenommen und Recherche
Jan-Wil­lem Wa­ter­böhr
Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld

Literatur

  • Gottwald, Alfred / Schulle, Diana, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005.
  • Minninger, Monika / Meynert, Joachim / Schäffer, Friedhelm (Hrsg.), Antisemitisch Verfolgte registriert in Bielefeld 1933-45. Eine Dokumentation jüdischer Einzelschicksale (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 4) Bielefeld 1985.
  • Minninger, Monika / Stüber, Anke / Klussmann, Rita, Einwohner – Bürger – Entrechtete. Sieben Jahrhunderte jüdisches Leben im Raum Bielefeld, Bielefeld 1988.
  • Wagner, Bernd J., Deportationen in Bielefeld und Ostwestfalen 1941-1945, in: Asdonk, Jupp / Buchwald, Dagmar / Havemann, Lutz / Horst, Uwe / Wagner, Bernd J. (Hrsg.), „Es waren doch unsere Nachbarn!“, Deportationen in Ostwestfalen-Lippe 1941-1945 (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 24), Bielefeld 2012, S. 70-127.

 

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