Der Schloßhof: Gut – Gasthaus – Jüdisches Lager

Schlosshof heute
Schlosshof heute. Foto: Roland Siekmann
Das ursprüngliche Ausflugslokal.
Das ursprüngliche Ausflugslokal. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung Nr. 95-013-075
Umbauplan für das Hauptgebäude Schloßhofstraße 73a vom 19.12.1939.
Umbauplan für das Hauptgebäude Schloßhofstraße 73a vom 19.12.1939. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,5/Bauordnungsamt, Hausakten Nr. 1700.
Jüdische Lagerinsassen mit französischen Zwangsarbeitern auf dem Gelände der Arbeitseinsatzzentrale Schloßhofstraße 73a.
Jüdische Lagerinsassen mit französischen Zwangsarbeitern auf dem Gelände der Arbeitseinsatzzentrale Schloßhofstraße 73a. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 95-013-079.
Schloßhofstraße 73a, 33615 Bielefeld

Geschichte des Ortes

Die Entstehung der heute als Schloßhof bezeichneten Stätte lässt sich nicht genau bestimmen. Als gesichert gilt, dass das bis heute erhaltene Gebäude durch ein Mitglied der Beamtenfamilie Meinders im 17. Jahrhundert errichtet und ab den 1880er Jahren durch Bernhard Jelkmann zu einer Gastwirtschaft umgebaut wurde. Diese bestand bis zum Kriegsbeginn 1939.

Das jüdische Lager 1940-1943

Mit der Beendigung der gastwirtschaftlichen Aktivitäten wurde in den Räumen des Schlosshofes ein sogenanntes „Jüdisches Umschulungslager“ errichtet. Diese Umschulungslager, auch „Arbeitseinsatzstellen“ genannt, wurden von der „Reichvereinigung der Juden in Deutschland“ gegründet. Sie unterschieden sich zwar in der Organisation von den Lagern der Gestapo, des Reichsarbeitsdienstes oder weiterer Nazi-Organisationen, nicht aber in der Grausamkeit bzw. Unmenschlichkeit im Allgemeinen.

Im Zuge des Umbaus wurden zusätzlich zum Hauptgebäude noch einige Stein- und Holzbaracken auf dem Gelände errichtet und der Gesamtkomplex in zwei Bereiche geteilt: das schon erwähnte Arbeitslager bzw. die „Arbeitseinsatzstelle“ und ein jüdisches „Alters- bzw. Siechenheim“. Im Gebäude selbst wurden in den beiden Sälen Mehretagenbetten aufgebaut, eine Gemeinschaftsküche eingerichtete und Büroräume für die Verwaltung geschaffen. Zudem wurden später noch kleinere Räume abgetrennt, um einzelne Familien einquartieren zu können. Sanitäre Einrichtungen waren über den gesamten Hof verteilt, wobei sie sich grundsätzlich in schlechtem Zustand befanden.

Das Lager war für rund 80 Personen ausgelegt worden. Im Zeitraum des Betriebs kann relativ gesichert gesagt werden, dass etwa 248 Menschen in den beiden Lagern „inhaftiert waren“ bzw. gelebt haben, welche jedoch in den wenigsten Fällen aus Bielefeld stammten. Eine offizielle Auflösung des Lagers erfolgte nicht, kann jedoch mit der Deportation der letzten Insassen am 28. Juni 1943 nach Theresienstadt angenommen werden. Von den rund 248 Insassen wurden ca. 205 in den Konzentrationslagern ermordet.

Funktion

Während das Lager zunächst noch den Titel „Umschulungslager“ tragen durfte und dementsprechend – im Sinne des NS-Politik – alle Insassen auf die Arbeit im Erdbau vorbereitete, musste auf einen entsprechenden Erlass 1941 die Umbenennung erfolgen. Es durfte sich danach nur noch „Jüdische Arbeitseinsatzstelle Bielefeld“ nennen und musste eng mit den Arbeitsämtern zusammenarbeiten, um die „Selbstverwaltung und -versorgung“ finanzieren zu können. Durch die unmenschlichen Bedingungen in den Firmen und der Ausbeutung können die Insassen faktisch als geringfügig bezahlte Zwangsarbeiter*innen bezeichnet werden.

Die Lagerleitung war über den gesamten Zeitraum hinweg in einer schwierigen Position. Aufgrund der Rechenschaftspflicht gegenüber der Gestapo, der Reichsvereinigung und dem Reichssicherheitshauptamt, musste ebendiese eine vermittelnde und kollaborative Position im NS-Staat einnehmen. Keine der Lagerleitungen überlebte den Holocaust.

Ausblick

Nach der Auflösung des Lagers und dem Ende des Krieges konnte der Schloßhof zunächst nicht mehr als Gaststätte genutzt werden, die Erinnerungen an das Leid waren zu groß und zu präsent. Im Verlauf der Jahre wurde jedoch zumindest die nahe Umgebung des Schloßhofes wieder erschlossen und zu Freizeitaktivitäten genutzt. In den 80er Jahren etablierte sich eine Wohngemeinschaft in den Gebäuden. Ab 1995 wurde der Schloßhof wieder zu einer gastronomischen Nutzung umgebaut, welche bis heute fortbesteht.

Spur aufgenommen und Recherche
Felix Tiemann
MyHistoryMap OWL,Haus Neuland

Literatur

  • Meynert, Joachim, Was vor der Endlösung geschah. Antisemitische Ausgrenzung und Verfolgung in Minden-Ravensberg 1933-1945, Münster 1988.
  • Meynert, Joachim / Mitschke, Gudrun, Die letzten Augenzeugen zu hören. Interviews mit antisemitisch Verfolgten aus Ostwestfalen, Bielefeld 1998.
  • Sunderbrink, Bärbel (Hrsg.), Der Schloßhof. Gutshof – Gasthaus – Jüdisches Lager, Bielefeld 2012.

Quellen

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,5/Bauordnungsamt, Hausakten Nr. 1700
Veröffentlicht am und aktualisiert am 18. Januar 2022

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