Alfred Meyer: „…ich war dort (Deutschland) ein Ausgestoßener ohne Zukunft.“

Alfred Meyer als us-amerikanischer GI, 1942-1945.
Alfred Meyer als us-amerikanischer GI, 1942-1945. Bildrechte: Vera Meyer, Boston Massachusetts.
Brüder Meyer, Hajo, Alfred und Rudolf (v.l.n.r.), vermutlich 1930er-Jahre.
Brüder Meyer, Hajo, Alfred und Rudolf (v.l.n.r.), vermutlich 1930er-Jahre. Bildrechte: Vera Meyer, Boston Massachusetts.
17. August 1939
Karl-Eilers-Straße 10, 33602 Bielefeld

Alfred Georg Meyer wurde am 5. Februar 1920 als zweites von drei Kindern des Ehepaares Gustav und Therese Meyer in Bielefeld geboren. Die Familie Meyer wohnte in den 1930er Jahren in der Kavalleriestraße 14. Alfred beschrieb in einem späteren Artikel, dass Musik ein wichtiger Bestandteil des Familienlebens war:

Im Dritten Reich schloß sich die Familie enger als je zusammen. Hausarbeit, die früher von Dienstmädchen gemacht worden war, wurde jetzt von uns allen gemeinsam geschafft. Gemeinsame Spaziergänge und Hausmusik waren andere gemeinsame Aktivitäten.“ (Meyer 1988, S, 160)

Vorbereitung auf eine mögliche Auswanderung

Alfred Meyer besuchte das heutige Ratsgymnasium. Eine gute schulische Ausbildung war den Eltern wichtig: „Ausschlaggebend war allerdings für meine Eltern das Argument, dass man die Kinder nicht in die Fremde schicken dürfe, ohne ihnen vorher eine abgerundete Ausbildung gegeben zu haben.“ So machte er noch im Frühjahr 1938 sein Abitur. Alfred wollte eigentlich wie sein Vater Jura studieren, was ihm auf Grund der politischen Lage nicht erlaubt war. So besuchte er die Gronische Sprachschule in Hamburg, musste abbrechen und kehrte schon im Oktober 1938 zu seinen Eltern in die Lützowstraße 10 (heute: Karl-Eilers-Straße) nach Bielefeld zurück. Er arbeitete als Schreiber in der Kanzlei seines Vaters und wartete auf die Bewilligung seines Visums für die Ausreise in die Vereinigten Staaten von Amerika.

Die doppelte Flucht

Mit dem gültigen Visum im Gepäck startete Alfred im August 1939 seine Reise ins Unbekannte. Am 17. August verließ das Schiff „SS Donau“ den Hamburger Hafen in Richtung Amerika. Doch „War was in the air“, beschrieb Alfred die damalige Situation. Alle Schiffe auf hoher See wurden zurückbeordert. Alfred landete mit der „SS Donau“ in Bremerhaven, wo seine Eltern schon am Dock auf ihn warten. Vater Gustav konnte über einen Freund in den Niederlanden ein Schiffsticket für die „Voldendam“ mit dem Abfahrtsdatum 9. September 1939 von Antwerpen aus Richtung Amerika organisieren. Alfred befand sich in einer prekären Lage, als er Deutschland innerhalb kurzer Zeit ein zweites Mal verließ. Er hatte zwar ein Schiffsticket und ein gültiges Visum für die USA, aber ihm fehlte ein Transitvisum für die Reise durch Belgien. „They let me through“ – belgische Grenzbeamte ließen ihn dennoch passieren.

Leben in Amerika während des Krieges

Ein zweites Mal startete der 19-jährige Alfred in Richtung Amerika. Er kam bei einer Bekannten der Familie unter, die die Auswanderung finanziell unterstützt hatte.

Alfred besuchte ein Handelscollage und arbeitete nebenbei als Schreiber in einer Fabrik für landwirtschaftliche Geräte. Er selber beschrieb diese Zeit als schwierig, fühlte sich bei der Bekannten nicht wohl und „flüchtete“ in die Armee. Dort absolvierte er eine Basisausbildung und wurde zum Leutnant befördert. 1944/45 kam er über Frankreich mit der 29. Infanterie nach Deutschland. Er agierte als Ermittler, als so genannter „Nazi Hunter“. Im April 1945 fuhr Alfred nach Bielefeld und betrachtete die Zerstörung in seiner alten Heimat mit einer Mischung aus Trauer und Genugtuung.

Das Leben danach

Alfred erfuhr erst in Bielefeld vom Schicksal seiner Eltern – beide haben die Shoah nicht überlebt. Nach mehreren Stippvisiten in den Niederlanden bei seinem Bruder Hajo kehrte Alfred im Oktober 1945 nach Amerika zurück, trat aus der Armee aus, startete seine berufliche Laufbahn und gründete eine Familie. Alfred studierte zunächst Politikwissenschaften und später Slawistik. Er war in seiner Laufbahn an verschiedenen Universitäten als Professor tätig und galt als Spezialist in der Marxismus-Leninismus-Forschung.

In einem Interview kurz vor seinem Tod im Jahr 1998 beschrieb er seine Beziehung zu Deutschland wie folgt: “…ich war dort ein Ausgestoßener ohne Zukunft.

Spur aufgenommen und Recherche
Amke Westhäusser

Literatur

  • Meyer, Alfred G., Mein Verhältnis zu Deutschland und zum Jude sein, in: Meynert, Joachim
    (Hrsg.):,Ein Spiegel des eigenen Ich. Selbstzeugnisse antisemitisch Verfolgter, Bielefeld 1988, S. 158-185
  • Meyer, Hajo G., Briefe eines Flüchtlings 1939-1945. Ein jüdischer junge im holländischen Exil, Berlin 2014
  • Minninger, Monika / Meynert, Joachim / Schäffer, Friedhelm (Hrsg.), Antisemitisch Verfolgte registriert in Bielefeld 1933-45. Eine Dokumentation jüdischer Einzelschicksale (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 4) Bielefeld 1985
  • Wagner, Bernd J., Deportationen in Bielefeld und Ostwestfalen 1941-1945, in: Asdonk, Jupp / Buchwald, Dagmar / Havemann, Lutz / Horst, Uwe / Wagner, Bernd J. (Hrsg.), „Es waren doch unsere Nachbarn!“ Deportationen in Ostwestfalen-Lippe 1941–1945, Essen 2014, S. 70-127

Quellen

  • Stadtarchiv, Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 18
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 395
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 1418
Veröffentlicht am und aktualisiert am 2. Dezember 2024

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