Thekla Lieber war Jüdin, die sich am 8. Juli 1942 im Sammellager „Kyffhäuser“ einfinden musste. Die 60-jährige wurde erst zwei Tage zuvor über ihre Deportation benachrichtigt und schrieb an dem Nachmittag an ihren Schwiegersohn, Emil Jacobs-Ries, recht sachlich, dass sie wahrscheinlich dahin reist, wo Toni ist. Toni Lieber ist die Schwägerin von Thekla, die schon am 31. März 1942 aus Bielefeld in das Warschauer Ghetto gebracht wurde.
Es ist an sich schon sehr ungewöhnlich, dass Thekla bei der Benachrichtigung wusste, dass 40 Personen mit ihr deportiert werden sollten und dass der Zug über Hamburg, nach Warschau fahren wird. In Ihrer Meldekartei ist verzeichnet, dass sie am 11. Juli 1942 nach Warschau verzogen sei. Es ist allerdings wahrscheinlicher, dass dieser Zug, einer der ersten Züge aus dem „Deutschenkerngebiet“ war, der nach Ausschwitz-Birkenau, in die neu gebauten Bunker 1 und 2 fuhr, die für die Massenvernichtung gebaut wurden.
Die sechs Postkarten, die zu dem Transport von Thekla Lieber noch erhalten sind, werden in der Publikation „Montag werden wir, wenn‘s gut geht, am Ziel sein“ von Martin Decker und Kai-Uwe von Hollen genau analysiert. Thekla Lieber schreibt wiederholt, dass sich ihre Kinder keine Sorgen machen sollen, drückt aber auch ihre Sorge aus, dass sie nicht zurückkehren wird. Sie schreibt zudem auch, dass sie nette Gesellschaft habe, aber schlafen, am besten gegen die Warterei helfe.
Als Tochter des Kaufmanns Adolf Heinen besuchte Thekla eine höhere Mädchenschule in Bielefeld. In ihrem Wiedergutmachungsantrag heißt es, dass sie gute Bildung genossen habe. Als sie alt genug war, stieg sie in das elterliche Geschäft, „Ofen-, Eisenwaren und Haushaltswarengeschäfts Heine“ ein. Sie wohnte ab 1905 mit ihrem Ehemann Ernst Lieber zusammen in der Ritterstraße 57 (heute: 13). Wahrscheinlich ab 1905 arbeiteten sie zusammen in dem Familienbetrieb. 1907 und 1910 wurden dann ihre zwei Kinder Erich und Martha geboren. 1933 verstarb Ernst und Thekla übernahm die alleinige Inhaberschaft des Familienunternehmens. Im Jahr 1935 stieg ihr Sohn Erich als gleichberechtigter Teilhaber und Geschäftsführer mit in das Geschäft ein.
In der Pogromnacht 1938 musste sie mit ansehen, wie das Geschäft zerstört wurde, es wurde nicht wiedereröffnet. Im Jahr 1939 wanderten ihre beiden Kinder aus. Martha versuchte über Antwerpen nach Südamerika zu emigrieren. Als dies aufgrund des Zweiten Weltkriegs keine Option mehr war, tauchte sie in Belgien unter. Erich ging mit seiner Ehefrau zusammen nach Palästina. Der Versuch die Mutter noch nachzuholen, scheiterte an der Beschaffung des Visums. Am 10. Juli 1942 wurde Thekla Lieber dann nach Auschwitz deportiert, wo sie sehr wahrscheinlich direkt umgekommen ist oder ermordet wurde. Da keiner der Menschen aus der Deportation überlebte, ist derzeit unbekannt, was nach der letzten Postkarte, die am 12. Juli 1942 geschrieben wurde, weiter passierte.
Spur aufgenommen und Recherche
Anika Tölke
Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland