Richard Wilmanns (1880-1958), seit 1910 Chirurg in den v. Bodelschwinghschen Anstalten, positionierte sich früh und positiv zur Sterilisation ohne Zustimmung der zu Operierenden und er führte noch vor Inkrafttreten des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GzVeN) Sterilisationen durch. Das kritische Diktum von Hans-Walter Schmuhl, Bethel sei „Schrittmacher und Vorreiter“ (Schmuhl 2013, S. 323) im Sterilisierungsprogramm gewesen, kann noch verschärft werden: Die operierenden Ärzte in Bethel standen bei den Zwangssterilisationen in der ersten Reihe, auch ohne Einwilligung.
In Bethel wurde und wird schon lange und intensiv über den Umgang mit der eigenen Geschichte diskutiert und hierbei wurden verschiedene Perspektiven zu unterschiedlichen Zeiten je anders gewichtet. Stand zunächst im Vordergrund zu betonen, dass Bethel sich nicht an den Meldebögen der „T4-Krankenmord-Aktion“ beteiligt hatte, wendete sich die Aufmerksamkeit seit Mitte der 1990er Jahre dem Unrechtskontext Zwangssterilisation zu.
Es schien, als wurden von Bethel äußerst akribisch und vollständig die Pfleglinge an die Erbgesundheitsgerichte gemeldet. Menschen, die dauerhaft in einer Anstalt untergebracht waren, wurden nicht sterilisiert, weil bei ihnen durch die geschlechtlich getrennte Unterbringung kein großes Risiko für eine ungewollte Fortpflanzung gesehen wurde. In den Operationssälen der Krankenhäuser Gilead und Nebo sterilisierten die Chirurgen unter der Verantwortung des Chefarztes Richard Wilmanns mehr als 1660 Menschen, die sowohl in den Anstalten lebten, als auch aus Bielefeld und dem Umland kamen.
Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wurde im Juli 1933 verabschiedet, in Kraft trat es zum 1. Januar 1934. Die ersten Erbgesundheitsgerichte, die ein Urteil hinsichtlich der Erblichkeit des vorliegenden Leidens und somit zur Unfruchtbarmachung auch gegen den Willen der Betroffenen und dessen Familie treffen konnten, waren im Frühjahr 1934 arbeitsfähig.
Eine detaillierte Analyse der Archivalien im Hauptarchiv Bethel brachte zutage, dass bereits im November 1933 drei Betheler, eine Frau und zwei Männer, von Wilmanns operativ sterilisiert wurden, die erste am 20. November, die beiden anderen am 24. November 1933. Nach dem damals geltenden Recht waren dies vorsätzliche Körperverletzungen.
Bei einer 26-jährigen Schwangeren wurde von einem in Bielefeld niedergelassenen Neurologen, der zuvor auch in Bethel angestellt war, eine Unterbrechung der Schwangerschaft und eine Sterilisation sowohl „im Interesse der Mutter wie dem der Eugenik“ empfohlen. Sie litt unter epileptischen Anfällen, hatte einen großen Kropf und galt, weil ihr Vater als Psychopath und Alkoholiker bezeichnet wurde, als erblich belastet. Diese Abtreibung war eindeutig illegal, da der § 218 im Strafgesetzbuch keinerlei Ausnahme vorsah; die eugenischen Ausnahmen wurden erst 1935 eingefügt. Ein 27-Jähriger bei dem in der Kindheit die Littlesche Krankheit (infantile Zerebralparese) und seit dem 20. Lebensjahr auch epileptische Anfälle diagnostiziert wurden, wurde anlässlich einer doppelseitigen Leistenbruch-Operation im November 1933 sterilisiert. Am selben Tag wurde auch ein 40-jähriger Lehrer, verheirateter zweifacher Familienvater, der wegen Epilepsie seit 1931 auf private Kosten in Bethel lebte und arbeite, sterilisiert. Bei beiden männlichen Pfleglingen wurde ein mündliches Einverständnis zur Sterilisation in der Akte festgehalten. Bei dem Lehrer sogar ausdrücklich „vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Allerdings war dieser Mann nach dem Eingriff sehr besorgt um seinen Zustand und ließ sich immer wieder vergewissern „daß der Eingriff keinen nachteiligen Einfluß hat“. Über das Ausmaß und die Information zur Aufklärung über den operativen Eingriff liegen in den Akten keine Dokumente vor.
Die Chirurgen, obschon von Dorothea Buck häufig und vehement benannt, wurden geschützt, galten sie doch lediglich als Befehlsempfänger oder Ausführende, nicht jedoch als Täter. So konnte der 1961 benannte Richard-Wilmanns-Weg noch bis 2018 so heißen. Dieser Straßenname wurde dann umgeändert in „Am Obstgarten“. Die Haltung zu Wilmanns hatte sich geändert.
Spur aufgenommen und Recherche
Dr. Marion Hulverscheidt
Universität Kassel, Neuere und Neueste Geschichte