Richard Wilmanns und die ersten eugenischen Sterilisationen in Bethel

Das Haus Nebo, Krankenhaus für die männlichen Bewohner Bethels. Hier wurden auch Frauen sterilisiert und anschließend im Haus Dothan, dem Krankenhaus für Frauen, weiter behandelt.
Das Haus Nebo, Krankenhaus für die männlichen Bewohner Bethels. Hier wurden auch Frauen sterilisiert und anschließend im Haus Dothan, dem Krankenhaus für Frauen, weiter behandelt. Hauptarchiv der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel GB II_Nebo_183.
Dr. Richard Wilmanns, der von 1910 bis 1953 im Krankenhaus Gilead praktizierte. Seit 1925 sogenannter Erster Arzt der Chirurgie, was mit dem Chefarzt gleichzusetzen ist.
Dr. Richard Wilmanns, der von 1910 bis 1953 im Krankenhaus Gilead praktizierte. Seit 1925 sogenannter Erster Arzt der Chirurgie, was mit dem Chefarzt gleichzusetzen ist. Hauptarchiv der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel Sar 7, 81
Das Krankenhaus Gilead in den 1920er Jahren. Hier wurden vor allem Patienten und Patientinnen der psychiatrischen Kliniken der Diakonissenanstalt Sarepta sterilisiert sowie Männer und Frauen aus Bielefeld und dem Umland.
Das Krankenhaus Gilead in den 1920er Jahren. Hier wurden vor allem Patienten und Patientinnen der psychiatrischen Kliniken der Diakonissenanstalt Sarepta sterilisiert sowie Männer und Frauen aus Bielefeld und dem Umland. Hauptarchiv der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel unverzeichnet.
20. November 1933
Burgsteig 13, 33617 Bielefeld (Gilead)

Richard Wilmanns (1880-1958), seit 1910 Chirurg in den v. Bodelschwinghschen Anstalten, positionierte sich früh und positiv zur Sterilisation ohne Zustimmung der zu Operierenden und er führte noch vor Inkrafttreten des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GzVeN) Sterilisationen durch. Das kritische Diktum von Hans-Walter Schmuhl, Bethel sei „Schrittmacher und Vorreiter“ (Schmuhl 2013, S. 323) im Sterilisierungsprogramm gewesen, kann noch verschärft werden: Die operierenden Ärzte in Bethel standen bei den Zwangssterilisationen in der ersten Reihe, auch ohne Einwilligung.

Umgang mit dem Thema Zwangssterilisation in Bethel

In Bethel wurde und wird schon lange und intensiv über den Umgang mit der eigenen Geschichte diskutiert und hierbei wurden verschiedene Perspektiven zu unterschiedlichen Zeiten je anders gewichtet. Stand zunächst im Vordergrund zu betonen, dass Bethel sich nicht an den Meldebögen der „T4-Krankenmord-Aktion“ beteiligt hatte, wendete sich die Aufmerksamkeit seit Mitte der 1990er Jahre dem Unrechtskontext Zwangssterilisation zu.

Zwangssterilisationen in Bethel

Es schien, als wurden von Bethel äußerst akribisch und vollständig die Pfleglinge an die Erbgesundheitsgerichte gemeldet. Menschen, die dauerhaft in einer Anstalt untergebracht waren, wurden nicht sterilisiert, weil bei ihnen durch die geschlechtlich getrennte Unterbringung kein großes Risiko für eine ungewollte Fortpflanzung gesehen wurde. In den Operationssälen der Krankenhäuser Gilead und Nebo sterilisierten die Chirurgen unter der Verantwortung des Chefarztes Richard Wilmanns mehr als 1660 Menschen, die sowohl in den Anstalten lebten, als auch aus Bielefeld und dem Umland kamen.

Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wurde im Juli 1933 verabschiedet, in Kraft trat es zum 1. Januar 1934. Die ersten Erbgesundheitsgerichte, die ein Urteil hinsichtlich der Erblichkeit des vorliegenden Leidens und somit zur Unfruchtbarmachung auch gegen den Willen der Betroffenen und dessen Familie treffen konnten, waren im Frühjahr 1934 arbeitsfähig.

Die Sterilisationen im November 1933

Eine detaillierte Analyse der Archivalien im Hauptarchiv Bethel brachte zutage, dass bereits im November 1933 drei Betheler, eine Frau und zwei Männer, von Wilmanns operativ sterilisiert wurden, die erste am 20. November, die beiden anderen am 24. November 1933. Nach dem damals geltenden Recht waren dies vorsätzliche Körperverletzungen.

Bei einer 26-jährigen Schwangeren wurde von einem in Bielefeld niedergelassenen Neurologen, der zuvor auch in Bethel angestellt war, eine Unterbrechung der Schwangerschaft und eine Sterilisation sowohl „im Interesse der Mutter wie dem der Eugenik“ empfohlen. Sie litt unter epileptischen Anfällen, hatte einen großen Kropf und galt, weil ihr Vater als Psychopath und Alkoholiker bezeichnet wurde, als erblich belastet. Diese Abtreibung war eindeutig illegal, da der § 218 im Strafgesetzbuch keinerlei Ausnahme vorsah; die eugenischen Ausnahmen wurden erst 1935 eingefügt. Ein 27-Jähriger bei dem in der Kindheit die Littlesche Krankheit (infantile Zerebralparese) und seit dem 20. Lebensjahr auch epileptische Anfälle diagnostiziert wurden, wurde anlässlich einer doppelseitigen Leistenbruch-Operation im November 1933 sterilisiert. Am selben Tag wurde auch ein 40-jähriger Lehrer, verheirateter zweifacher Familienvater, der wegen Epilepsie seit 1931 auf private Kosten in Bethel lebte und arbeite, sterilisiert. Bei beiden männlichen Pfleglingen wurde ein mündliches Einverständnis zur Sterilisation in der Akte festgehalten. Bei dem Lehrer sogar ausdrücklich „vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Allerdings war dieser Mann nach dem Eingriff sehr besorgt um seinen Zustand und ließ sich immer wieder vergewissern „daß der Eingriff keinen nachteiligen Einfluß hat“. Über das Ausmaß und die Information zur Aufklärung über den operativen Eingriff liegen in den Akten keine Dokumente vor.

Die Chirurgen, obschon von Dorothea Buck häufig und vehement benannt, wurden geschützt, galten sie doch lediglich als Befehlsempfänger oder Ausführende, nicht jedoch als Täter. So konnte der 1961 benannte Richard-Wilmanns-Weg noch bis 2018 so heißen. Dieser Straßenname wurde dann umgeändert in „Am Obstgarten“. Die Haltung zu Wilmanns hatte sich geändert.

Spur aufgenommen und Recherche
Dr. Marion Hulverscheidt
Universität Kassel, Neuere und Neueste Geschichte

Literatur

  • Benad, Matthias, Einleitung zu: Hochmuth, Anneliese, Spurensuche: Eugenik, Sterilisation, Patientenmorde und die v. Bodelschwinghschen Anstalten, hrsg. v. Matthias Benad in Verbindung mit Wolf Kätzner, Eberhard Warns, Bielefeld-Bethel 1997, S. XV–XXXVI.
  • Benad, Matthias (Hrsg.), Friedrich v. Bodelschwingh d.J. und die Betheler Anstalten, Stuttgart/Berlin/Köln 1997.
  • Bock, Gisela: Zwangssterilisation im Nationalsozialismus, Opladen 1986.
  • Buck, Dorothea, Lebenslang als minderwertig abgestempelt, in: Wolf, Bernward (Hrsg.), Lebenslang als minderwertig abgestempelt. Das Mahnmal zum Gedenken an die Opfer von Zwangssterilisation während der NS-Zeit in Bethel. Dokumentation, Hintergründe, Fragen an gegenwärtiges Handeln, Bielefeld, 2001, S. 13-21.
  • Hulverscheidt, Marion / Kaminsky, Uwe: Der Chirurg der von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel. Richard Wilmanns (1880-1958) – medizinhistorische Erkenntnisse und deren veränderte Wahrnehmung, in: Rauh, Philipp / Voggenreiter, Marion / Ude-Koeller, Susanne / Leven, Karl-Heinz (Hrsg.): Medizintäter. Ärzte und Ärztinnen im Spiegel der NS-Täterforschung, Köln/Wien 2022, S. 203-227.
  • Schmuhl, Hans-Walter, Gilead im Nationalsozialismus, in: Stockhecke, Kerstin / Schmuhl, Hans-Walter (Hrsg.), Von Anfang an evangelisch. Geschichte des Krankenhauses Gilead in Bielefeld, Bielefeld 2013, S. 311–333.

Quellen

  • Hauptarchiv der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel AmtPat 182, 205, 258, 259.
  • Hauptarchiv der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel BethKanzPat, 82/1343.
  • Hauptarchiv der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel BethKanzPat, 466/7971.
  • Hauptarchiv der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel BethKanzPat, 509/8827.
  • Hauptarchiv der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel GilOP 32 bis 35, 37 bis 54, 56 bis 61, 63, 64, 66, 69, 75.
Veröffentlicht am und aktualisiert am 18. März 2024

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