Als Paul (*20. April 1912) und Leonhard Heilbronn am 21. Februar 1940 an dem alten Gutshof an der Schloßhofstraße 73a in Bielefeld ankamen, dürfte Hoffnung in ihnen aufgekommen sein. Sie hatten zu diesem Zeitpunkt bereits Terror und Strapazen überstanden und standen vor einem „Jüdischen Umschulungslager“.
Die Jahre zuvor waren hart gewesen: Die Heilbronns waren eine große jüdische Familie aus Lengerich im Tecklenburger Land (Kreis Lingen). Abraham (*6. Dezember 1874) und Meta (*16. Juli 1878) Heilbronn, geborene Horn, hatten sechs Kinder. Im Januar 1937 gelang es den zwei Brüdern, Julius (*2. April 1914) und Meinhard (*19. September 1916), in die USA auszuwandern – sie schifften sich von Hamburg nach New York ein. In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 kam es, wie vielerorts in Deutschland, auch in Lengerich zu einem judenfeindlichen Pogrom. Die Eltern, Abraham Heilbronn und Meta Heilbronn waren zu diesem Zeitpunkt bettlägerig und mussten hilflos mit ansehen, wie ihre Wohnung verwüstet und ihre Wertsachen gestohlen wurden. Am darauffolgenden Tag wurden Leonhard und Emil im Spritzenhaus von Lengerich festgesetzt, während Paul sich sechs Wochen lang auf einem Heuboden versteckt hielt, um der Verhaftung zu entgehen. Leonhard durchlief nun zum ersten Mal das Zwangsarbeits- und KZ-System der Nationalsozialisten. Er wurde zur „Schutzhaft“ nach Sachsenhausen, anschließend nach Buchenwald verbracht. Im Dezember 1938 von dort entlassen, wurde er unter Zwang mit seinem Bruder Paul im Mai 1939 nach Werlte im Emsland in das Arbeitslager gebracht. Sie mussten hier im Baulager II an der Moorkultivierung teilnehmen – Schwerstarbeit.
Doch dann bot sich den beiden Brüdern ein Hoffnungsschimmer: Sie gelangten nach Bielefeld in die Schloßhofstraße 73a – das Zwangsarbeitslager war jedoch als „Jüdisches Umschulungslager“ bekannt. Den Insassen wurde die Idee vermittelt, sie würden hier auf einen zukünftigen Beruf, sogar auf eine Auswanderung nach Palästina vorbereitet. Das klang für viele glaubhaft, wurde der Schloßhof doch von der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland (RVJD) betrieben.
Im Herbst 1941 wurden dennoch auch Insassen der Schloßhofstraße deportiert. Paul und Leonhard beschlossen, sich freiwillig zu melden, um mit ihrer Schwester Berta (*13. Dezember 1909) zusammenbleiben zu können. Im Rigaer Ghetto wurden sie bald getrennt. Leonhard gehörte zu jenen 500 Häftlingen, die zum Bau des Arbeitserziehungslagers Salaspils, etwa 20km südöstlich von Riga, zwangsverpflichtet wurden. Er starb dort am 13. Januar 1942 an Erschöpfung und Entkräftung. Paul lebte weiter und kam zu zwischen 1942 und 1944 in das Ghetto in Kauen (Kowno, heute Kaunas, Litauen). 1944 wurde er von dort in das Konzentrationslager Dachau verbracht, wo er am 27. Februar 1945 kurz vor Befreiung des Lagers durch amerikanische Truppen starb. Er verbrachte seine letzten Tage im KZ-Außenlager Kaufering, welches zu diesem Zeitpunkt zum „Sterbelager“ des KZ umfunktioniert worden war. Ein Arzt berichtete, dass seine einzige Aufgabe habe darin bestanden, Totenscheine auszustellen. Wöchentlich starben hier 100 bis 200 Gefangene unter katastrophalen hygienischen Bedingungen.
Julius und Meinhard Heilbronn überlebten den Krieg und wurden im Anschluss amerikanische Staatsbürger. Sie starben 2001 bzw. 1993. Auch Bertha, die ältere Schwester, überlebte und starb 1991 in Bielefeld. Emil (*15. Oktober 1920), der jüngste Bruder, starb am 2. Mai 1945, wenige Tage vor Kriegsende in Niederschlesien. Die Eltern, Abraham und Meta, sind 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt gestorben.
Spur aufgenommen und Recherche
David Hecken
Landesarchiv Nordrhein Westfalen – Abteilung OWL