Palmyra Berg – Mit Ziel „unbekannt“ abgemeldet und nach Warschau deportiert

Hausansicht Lützowstraße 10.
Hausansicht Lützowstraße 10. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,5/Bauordnungsamt Hausakte Nr. 1958
Auszug aus dem Hausbuch Lützowstraße 10.
Auszug aus dem Hausbuch Lützowstraße 10.
Bescheinigung des Einwohnermeldeamts.
Bescheinigung des Einwohnermeldeamts. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/Wiedergutmachung, Nr. B 13
31. März 1942
Karl-Eilers-Straße 10, 33602 Bielefeld

Am 31. März 1942 verließ ein Deportationszug nach Warschau den Bahnhof von Bielefeld. Unter den 316 – 325 Jüdinnen und Juden, die aus Bielefeld und Umgebung „in den Osten evakuiert“ werden sollten, befand sich auch Palmyra Berg, geborene Goldstein am 24. Juni 1892 in Werther/Westfalen. Laut Eintrag im Hausbuch der Lützowstraße 10 (heute Karl-Eilers-Straße 10) wurde sie am 30. März 1942 mit Ziel unbekannt abgemeldet. Sie wurde wohl, wie viele andere auch, einen Tag vor ihrer Deportation zum „Kyffhäuser“ gebracht. Dort traf sie mit großer Wahrscheinlichkeit auf ihre Schwester Grete Spanier, geborene Goldstein am 9. April 1896 in Werther/Westfalen, und deren Ehemann Arthur Spanier (beide aus Herford), denn auch sie wurden am 31. März 1942 nach Warschau deportiert.

Leben in der Lützowstraße 10

Die Familie Berg war seit dem 22. April 1919 in der Lützowstraße 10 gemeldet. Der Ehemann von Palmyra Berg, Dr. med. David Berg, Facharzt für Haut-, Harn- und Geschlechtskrankheiten, betrieb dort in den Wohnräumen der Familie seine Praxis.

Im Mai 1922 zogen auch die Eltern und die Schwester von Palmyra in die Lützowstraße 10: Simon Goldstein, geboren am 26. November 1853 in Werther/Westfalen, als Eigentümer, mit Ehefrau Emilie, geborene Northeim am 12. Juli 1861 in Geldern, und Tochter Else Goldstein, geboren am 9. September 1899 in Werther/Westfalen. Nach dem Tod von David im Januar 1926 kümmerte sich Palmyra weiterhin um ihre zwei Kinder. Ruth, geboren am 11. Dezember 1914 in Oberhausen, war zu dem Zeitpunkt elf und Helmut Eduard, geboren am 1. August 1919 in Bielefeld, sechs Jahre alt. Ruth und Helmut Eduard verbrachten hier in der Lützowstraße 10 ihre Kindheit und Jugend.

Ruth Berg

Ruth besuchte bis März 1931 die Auguste-Viktoria-Schule (heute: Gymnasium am Waldhof). Nach dem zweijährigen Besuch der Städtischen Handelsschule begann sie eine kaufmännische Ausbildung bei der Firma Elsbach, Wäschefabriken AG in Herford. Ob sie die Ausbildung nicht beenden konnte oder ihr im Anschluss keine Anstellung mehr angeboten wurde, ist unklar. Eindeutig ist, dass Ruth 1936 einen Nervenzusammenbruch erlitt und sie drei Monate als Patientin im Sanatorium Dr. Kohnstamm in Königstein/Taunus verbrachte. Am 24. Juni 1938 verließ Ruth, finanziell durch ihrer Mutter unterstützt, Bielefeld mit dem Zug gen Triest. Von dort fuhr sie mit dem Dampfer „Galilea“ nach Bialik/Palästina. Kurz darauf reiste sie nach Zürich, um dort am 17. Juli 1938 ihre Hochzeit mit Georg Lefebre zu feiern.

Helmut Eduard Ber

Zu dieser Zeit hielt sich ihr Bruder Helmut Eduard in Zürich auf. Er besuchte bis 1935 das Realgymnasium in Bielefeld und begann danach, weil ihm das Medizinstudium untersagt wurde, das Studium Maschinenbaustudium in Bielefeld. 1937 sah er sich gezwungen auszuwandern. Im Oktober 1937 reiste er zurück nach Zürich. Dort setzte er sein Studium am Technikum Winterthur fort, bis 1938 keine Studiengelder aus Deutschland mehr überwiesen werden konnten. Angewiesen auf die Unterstützung der Flüchtlingshilfe lernte er im Selbststudium weiter. So gelang es ihm später als Konstrukteur in einer Maschinenfabrik zu arbeiten. 1949 wanderte er in die USA aus.

Opfer der Shoah

Palmyra Berg, ihre Schwester Grete und ihr Schwager Arthur haben die Shoah nicht überlebt. Palmyra wurde mit Wirkung vom 8. Mai 1945 für tot erklärt. Die Familie Goldstein wurde am 31. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Simon Goldstein starb am 29. Dezember 1942, Emilie Goldstein am 3. Februar 1943 und das Todesdatum von Else ist der 28. April 1943.

Bei Antragstellung auf Wiedergutmachung lebten Ruth und Helmut Eduard beide in den USA.

Spur aufgenommen und Recherche
Amke Westhäusser

Literatur

  • Decker, Brigitte (Hrsg.) Heimweh nach Bielefeld? Vertrieben oder deportiert: Kinder aus jüdischen Familien erinnern sich (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 22) Bielefeld 2007
  • Minninger, Monika / Meynert, Joachim / Schäffer, Friedhelm (Hrsg.), Antisemitisch Verfolgte registriert in Bielefeld 1933-45. Eine Dokumentation jüdischer Einzelschicksale (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 4) Bielefeld 1985

Quellen

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 1412: Hausbuch Karl-Eilers-Straße
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,5/Bauordnungsamt, Nr. 1958
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/Amt für Wiedergutmachung, Nr. B 13
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/Amt für Wiedergutmachung, Nr. B 117
Veröffentlicht am

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