Ludwig Meyer – „Schlachtertango“

Ludwig Meyer in der ersten Schwulenkneipe Hannovers "Wielandseck" ab 1960. Privatbesitz Michael Grunert
Ludwig Meyers Elternhaus (Bildmitte) Kreuzstr. 42 wurde 1951 abgebrochen.
Ludwig Meyers Elternhaus (Bildmitte) Kreuzstr. 42 wurde 1951 abgebrochen. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 11-1243-41 (Ansichtskarte, Ausschnitt)
Meldekarten Ludwig Meyers enthalte mehrfach Hinweise „erkennungsdienstlich behandelt“, die im Zusammenhang mit Verhaftungen wegen Homosexualität standen.
Meldekarten Ludwig Meyers enthalte mehrfach Hinweise „erkennungsdienstlich behandelt“, die im Zusammenhang mit Verhaftungen wegen Homosexualität standen. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 18.
Aus dem KZ Buchenwald meldete Ludwig Meyer den Zwangsvornamen beim Standesamt an.
Aus dem KZ Buchenwald meldete Ludwig Meyer den Zwangsvornamen beim Standesamt an. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,2.1/Standesamt Bielefeld, Nr. 17.
Polizeigefängnis in der Turnerstraße, 1941.
Polizeigefängnis in der Turnerstraße, 1941. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,003/Fotosammlung, Nr. 95-005-39
17. Oktober 1936
Kreuzstraße 42, 33602 Bielefeld

Ludwig Meyers Eltern waren der Viehhändler und Schlachter Moritz Meyer (1864-1940) und Rahel Meyer geb. Eltzbacher (1873-1931). Sein Bruder war Adolf Meyer (1904-?). 1920 zog Ludwig vom Elternhaus Kreuzstr. 42 nach Berlin, wohnte danach in Magdeburg, Quedlinburg, Oberhausen und Krefeld. Seit 1932 lebte er wieder im Haushalt seines stark sehbehinderten Vaters und arbeitete als dessen Mitarbeiter, nachdem der Betrieb im Vorjahr von einem Viehhandel zu einer Großschlachterei umgemeldet worden war. Am 31. März 1938 wurde das Gewerbe abgemeldet.

Am 17. Oktober 1936 nahm die Gestapo Ludwig Meyer fest, der als eines der ersten Opfer einer großrahmigen „Sonderaktion“ gegen Homosexuelle in Bielefeld gilt. Seine Meldekarten halten mit Datum 20. Oktober 1936 „erkennungsdienstlich behandelt“ fest. 283 Männer wurden als Homosexuelle in „Schutzhaft“ genommen und unter dem Vorwurf von Verstößen gegen § 175 angeklagt. Ihre Meldekarten enthalten gleichartige oder ähnliche Hinweise („Daktyloskopie“; „daktyloskopisch behandelt“ = Fingerabdruckverfahren). Das Gericht erkannte auf acht Monate Haft gegen Ludwig Meyer. Am 2. Juni 1938 wurde er unter dem gleichen Vorwurf in „Vorbeugehaft“ genommen und drei Monate später ins KZ Buchenwald verbracht.

Von dort aus teilte Ludwig Meyer per Lagerpostkarte dem Standesamt Bielefeld mit, dass er den Zwangsvornamen „Israel“ führe. Der Bielefelder Standesbeamte nahm vor allem die Fristüberschreitung zur Kenntnis und drohte mit Anzeige, falls eine plausible Erklärung dafür nicht vorgelegt werde. Erst die Nachricht des Lagerkommandanten, dass die Rechtslage verspätet bekannt gemacht worden sei, verhinderte die Anzeige.

Am 22. Mai 1943 wurde Ludwig Meyer nach Auschwitz und schließlich am 29. Januar 1945 nach Mauthausen verschleppt. Am 5. Mai 1945 konnte er dort befreit werden. Aus der Lagerzeit ist wenig in Erfahrung zu bringen. In der Nachkriegszeit beschrieb Albert Bauer aus dem hessischen Gladenbach ihn wie folgt:

Ludwig Meyer wurde genau wie ich im Lager als Jude geführt. Seine Einstellung war äußerst kameradschaftlich, er war von hingebender Hilfsbereitschaft den Kameraden gegenüber. Ich bin jederzeit bereit, für ihn einzustehen.

Nach dem Krieg lebte Ludwig Meyer zunächst in Bielefeld und arbeitete als Angestellter im städtischen Wohnungsamt, wo er wegen Bestechlichkeit im Amt auffiel – oder vielleicht als Homosexueller unter besonderer Beobachtung stand. Im November 1948 wurde er wegen homosexueller Handlungen verhaftet, „erkennungsdienstlich behandelt“, wie die Meldekarte erneut festhielt, und zu 13 Monaten Haft verurteilt. Damit verlor er seine Anerkennung als jüdischer Verfolgungsgeschädigter und Ansprüche auf eine „Wiedergutmachung“.

Er verzog 1953 nach Hannover, wo er mit dem “Wielandseck” an der Glockseestraße eines der ersten Schwulenlokale in Deutschland eröffnete, das er bis Anfang der 1960-Jahre betrieb. 1961 ging er nach Hamburg, wo Ludwig Meyer am 1. April 1975 ermordet/tot aufgefunden wurde.

Mit dem Einpersonenstück „Schlachtertango“ setzte der Bielefelder Schauspieler Michael Grunert ihm ein bleibendes dramatisches Denkmal.

Spur aufgenommen und Recherche
Dr. Jochen Rath
Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld

Ergänzende Recherchen
Detlev Hamann
BIE Queer e.V.

Literatur

  • Ewers, Niko, „Besonders ein regelrechtes Liebesverhältnis muss auf’s schwerste verurteilt werden”. Verfolgung von Homosexuellen in Bielefeld in der Zeit des Nationalsozialismus, in: 86. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg (2000), S. 73-90. URL
  • Ewers, Niko, Homosexuell und Jude. Leben und Verfolgung des Bielefelders Ludwig Meyer, dessen Leidensgeschichte nach siebenjähriger KZ-Haft noch nicht zuende war, in: Capri – Zeitschrift für schwule Geschichte 30, Juni 2001, S. 35-41.
  • Hergemöller, Bernd-Ulrich, Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum, Berlin 2010 (3. Aufl.), S. 820.

Quellen

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 103,4/Personalakten, Nr. C 1017: Personalakte Ludwig Meyer.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,1/Ordnungsamt, Nr. 1181: Jüdische Gewerbekartei.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,2.1/Standesamt Bielefeld, Nr. 17: Anmeldung und Beischreibung der Zwangsvornamen für Juden, 1938-1943.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 18: Meldekartei Bielefeld-Mitte 1920-1958.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,9/Kriminalpolizei, Nr. 7: Kriminalstatistik 1948.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,5/Bauordnungsamt, Hausakten, Nr. 3394: Hausakte Kreuzstr. 42.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/Amt für Wiedergutmachung, Stadt, Nr. B 138a: Meyer, Ludwig, Erbe zu Moritz Meyer.
Veröffentlicht am und aktualisiert am 15. Februar 2022

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