Ka­ro­la La­band­ter – Die Be­frei­ung kam zu spät

Meldekarte von Karola Labandter
Meldekarte von Karola Labandter (geb. Grünewald). Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 18.: Meldekartei Bielefeld-Mitte, 1920-1958
28. Mai 1945
Gü­s­en­stra­ße 2, 33602 Bie­le­feld

Ka­ro­la La­band­ter geb. Grü­ne­wald er­leb­te ih­ren 45. Ge­burts­tag nicht mehr. Die ge­lern­te Ver­käu­fe­rin, die am 14. Sep­tem­ber 1900 in Bie­le­feld-Schil­de­sche ge­bo­ren wor­den war, leb­te in Bie­le­feld und er­fuhr be­reits vor der De­por­ta­ti­on nach Riga im De­zem­ber 1941 ge­sell­schaft­li­che Stig­ma­ti­sie­rung und po­li­ti­sche Aus­gren­zung, da sie als „Voll­jü­din“ ge­zwun­gen war, im öf­fent­li­chen Raum ei­nen Ju­den­stern zu tra­gen.

Am 2. Ja­nu­ar 1936 je­doch hei­ra­te­te sie Wil­ly La­band­ter (1902-1993) in Lüb­be­cke und zog aus der Spin­del­stra­ße 41 in Bie­le­feld nach Lüb­be­cke. Das Paar zog 1938 wie­der zu­rück nach Bie­le­feld in die Gü­s­en­stra­ße 2. Wil­ly La­band­ter war vom 9. Juli 1927 bis 1937 An­ge­stell­ter bei der Orts­kran­ken­kas­se in Bie­le­feld.  Er wur­de auf­grund sei­ner jü­di­schen Her­kunft ent­las­sen. Er fand noch ein­mal Ar­beit als Buch­hal­ter bei­der Fir­ma Hecht in Lüb­be­cke in West­fa­len. Aber nach­dem auch die­se Fir­ma 1938 „ari­siert“ wur­de, blieb er ohne An­stel­lung.  Am 1. No­vem­ber 1938 ging er wie­der nach Bie­le­feld und leb­te mit sei­ner Frau bei sei­ner Schwie­ger­mut­ter, da das Paar kei­ne Woh­nung fand. Ka­ro­la La­band­ter ar­bei­te­te von 1933 bis 1938 mehr­fach kurz­zei­tig beim Kauf­haus Als­berg als Aus­hilfs­ver­käu­fe­rin, even­tu­ell im Rah­men von In­ven­tur­ar­bei­ten. Wil­ly La­band­ter über­nahm in Bie­le­feld eine Aus­hilfs­tä­tig­keit beim So­zia­len Aus­schuss für jü­di­sche Wohl­fahrts­pfle­ge in West­fa­len/​Lip­pe vom 20. Ok­to­ber 1938 bis zum 31. Juli 1939.

Am 2. Au­gust 1939 trenn­ten sich al­ler­dings die Wege des Ehe­paars, als Wil­ly La­band­ter nach Eng­land aus­wan­der­te und sei­ne Frau in Deutsch­land zu­rück­ließ.  Wil­ly La­band­ter wur­de mehr­fach von der Ge­sta­po auf­ge­for­dert, das Land zu ver­las­sen. Ei­gent­lich soll­te Ka­ro­la nach­kom­men, doch sie schaff­te es nicht mehr. Aus den Un­ter­la­gen des Haus­bu­ches geht auch her­vor, dass ihre Mut­ter Fan­ny Grü­ne­wald ca. drei Wo­chen nach der Ab­rei­se von Wil­ly La­band­ter ver­starb. Viel­leicht blieb Ka­ro­la La­band­ter, um ih­rer Mut­ter bei­zu­ste­hen, und schaff­te es nicht mehr recht­zei­tig vor dem Kriegs­aus­bruch am 1. Sep­tem­ber 1939, zu flie­hen.

Am 13. De­zem­ber 1941 wur­de auch Ka­ro­la La­band­ter das Op­fer der De­por­ta­ti­on nach Riga. Doch dort en­de­te ihr Lei­dens­weg nicht. Vom Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Riga wur­de sie in das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Stutt­hof bei Neu­stadt in Hol­stein ge­bracht, in dem sie bis zum Kriegs­en­de ge­fan­gen blieb. Tat­säch­lich er­leb­te sie, als eine der we­ni­gen Über­le­ben­den, die Be­frei­ung des Kon­zen­tra­ti­ons­la­gers durch so­wje­ti­sche Trup­pen am 9. Mai 1945. Nur drei Wo­chen spä­ter, am 28. Mai 1945 ver­starb Ka­ro­la La­band­ter im Lan­des­kran­ken­haus in Neu­stadt im Al­ter von 44 Jah­ren, vier Mo­na­te vor ih­rem 45. Ge­burts­tag.

Wil­ly La­band­ter wan­der­te 1951 von Eng­land nach New York aus, von wo er Mit­te der 1950er-Jah­re Wie­der­gut­ma­chungs­an­trä­ge für sich und sei­ne Ehe­frau stell­te. Aus die­sen Ak­ten geht her­vor, dass die Ehe kin­der­los blieb und der Ehe­mann als ein­zi­ger Erbe von Ka­ro­la La­band­ter ge­führt wur­de.

Spur aufgenommen und Recherche
Sas­kia Da­vid-Gau­batz
Landesarchiv Nordrhein Westfalen – Abteilung OWL

Li­te­ra­tur

  • Decker, Brigitte (Hrsg.) Heimweh nach Bielefeld? Vertrieben oder deportiert: Kinder aus jüdischen Familien erinnern sich (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte, Bd. 22) Bielefeld 2007.
  • Minninger, Monika / Meynert, Joachim / Schäffer, Friedhelm (Hrsg.), Antisemitisch Verfolgte registriert in Bielefeld 1933-45. Eine Dokumentation jüdischer Einzelschicksale (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte, Bd. 4) Bielefeld 1985.
  • Schneider, Gertrude, Reise in den Tod. Deutsche Juden in Riga 1941-1944, Dülmen 2008.

Quel­len

  • LAV NRW Abt. OWL: Bestand D1 BEG Nr. 9421; 8216
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,2.20/Standesamt, Heiratsregister, Nr. 200, Vorgang Nr. 1.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,2. 20/Standesamt, Geburtsregister, Nr. 110, Vorgang Nr. 418.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/Amt für Wiedergutmachung Stadt, Nr. B 115.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 18: Meldekartei Bielefeld-Mitte, 1920-1958.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 1500: Hausbuch, Oberntorwall 27.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 210,60/Kaufhaus Alsberg, Nr. 1: Personalbuch, 1900-1938 (1966)
Veröffentlicht am und aktualisiert am 15. Februar 2022

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