Nach gescheiterter Ausreise – Familie Weiss wird nach Warschau deportiert

Auszug aus dem Tagebuch von Emil Weiss zum 31. Mai 1939.
Auszug aus dem Tagebuch von Emil Weiss zum 31. Mai 1939. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,8/Sammlung Judaica, Nr. 17.
Meldekarte von Emil Weiss.
Meldekarte von Emil Weiss. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 18.: Meldekartei Bielefeld-Mitte, 1920-1958
Gewerbekarte Emil Weiss.
Gewerbekarte Emil Weiss. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,1/Ordnungsamt, Nr. 1181: Jüdische Gewerbekarte
31. März 1942
Oberntorwall 2, 33602 Bielefeld

„…alles vergebens wir kommen vorläufig nicht fort…“

Emil Weiss, geb. am 1. Mai 1880 in Bielefeld schrieb diese Worte am 31. Mai 1939 in sein Tagebuch. Die für den 15. Juni 1939 geplante Auswanderung seiner Frau Anne, geb. Plaut am 4. Juli 1894 in Eschwege, seiner Tochter Lore, geb. 28. November 1932 in Bielefeld und ihm konnte nicht stattfinden. Via Holland wollte die Familie zunächst nach Kuba emigrieren, um von dort dann weiter in die USA zu gelangen. Der Sohn Fritz, geb. am 14. September 1921 in Bielefeld, war schon im März 1937 zu seinem Onkel Walter Plaut nach New York gelangt.

„…dass wir bald nach Amerika können, da wir hier jetzt nicht mehr bleiben könnten…“

Die Ereignisse während und nach der Pogromnacht im November 1938, infolge dessen sich Emils Schwester Hedwig Mannheimer und deren Ehemann Dr. Eugen Mannheimer am 11. November 1938 das Leben nahmen, förderten bei Emil und Anne Weiss den Entschluss sofortige Maßnahmen zur Auswanderung zu ergreifen. Direkt nach der Beisetzung seiner Schwester nahmen Emil und Anne Kontakt zu Walter Plaut in New York auf und baten ihn um Unterstützung bei ihrem Vorhaben.

Alles war im Mai 1939 geregelt – das Mobiliar zur Verschiffung vorbereitet, das Restmobiliar verkauft, die Überfahrt mit einem Holland-Frachtdampfer für den 15. Juni 1939 gebucht, Pässe und gültige Visa für Kuba in der Tasche – da erhielten sie die Nachricht, dass Kuba gesperrt sei. Die kubanischen Visa-Bestimmungen für Einwanderer wurden kurz vor ihrer Abreise geändert. „[…] die meisten Passagiere des letzten Schiffes das nach Kuba ging, konnten gar nicht landen und mussten nach Europa wieder zurück“, schrieb Fritz Weiss am 15. Juni 1939 zur Information an seine Eltern.

„Infolge des inzwischen ausgebrochenen Krieges werden vorläufig unsere Pläne für eine Auswanderung nichtig.“ (3.September 1939)

Emil und Anne Weiss gaben die Aussicht auf eine spätere Auswanderung Richtung Westen nicht auf. Sie hatten im Juli 1939 ihr Mobiliar in die USA verschiffen lassen, in der Hoffnung es nicht allzu lang verpackt im Hafen von New York zu belassen.

Zu dieser Zeit lebten sie mit ihrer Tochter Lore weiterhin in einer Wohnung im Oberntorwall 2 – einem Haus, indem die Bielefelder Behörden jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger unter Zwang einwiesen. Emil, ehemals ein selbständiger Kaufmann mit eigenem Gewerbe, arbeitete nach seinem Berufsverbot ab 1939 als Gemeindesekretär bei der Jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld. Um über die Runden zu kommen, betrieb Anne einen privaten Handel mit Kaffee, Tee, Kakao, Seife und Waschmittel.

Schon 1935 schrieb Emil folgende Worte in sein Tagebuch: „Leider ist für die jüdische Jugend heute kein Platz mehr in Deutschland.“ Er hat seinem Sohn Fritz die Auswanderung in die USA ermöglicht und ihm damit das Leben gerettet. Emil, Anne und Lore Weiss wurden am 31. März 1942 nach Warschau deportiert. „Abgewandert mit unbekanntem Ziel“ seht auf der Meldekarte. „Abgewandert“ im Gehaltsbuch der Jüdischen Kultusgemeinde.

Wann und wie sie ums Leben kamen, ist nicht bekannt. Man hat von ihnen nie wieder etwas gehört. Sie wurden laut Wiedergutmachungsakte mit Wirkung vom 8. Mai 1945 für tot erklärt.

Spur aufgenommen und Recherche
Amke Westhäusser

Literatur

  • Minninger, Monika / Meynert, Joachim / Schäffer, Friedhelm (Hrsg.), Antisemitisch Verfolgte registriert in Bielefeld 1933-45. Eine Dokumentation jüdischer Einzelschicksale (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 4) Bielefeld 1985.
  • Wagner, Bernd J., Deportationen in Bielefeld und Ostwestfalen 1941-1945, in: Asdonk, Jupp / Buchwald, Dagmar / Havemann, Lutz / Horst, Uwe / Wagner, Bernd J. (Hrsg.), „Es waren doch unsere Nachbarn!“, Deportationen in Ostwestfalen-Lippe 1941-1945 (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 24), Bielefeld 2012, S. 70-127.

Quellen

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/Wiedergutmachung, Nr. B 209
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/Wiedergutmachung, Nr. B 211
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 240,1/Jüdische Gemeinde, Nr. 3
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 240,1/Jüdische Gemeinde, Nr. 21
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,8/Sammlung Judaica, Nr. 17: Tagebuchauszüge Emil Weiss
Veröffentlicht am

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