Verfolgung und Flucht: Die einst große Familie Hamlet in Bielefeld

Meldekarte von Luis Hamlet.
Meldekarte von Luis Hamlet. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 18.: Meldekartei Bielefeld-Mitte, 1920-1958.
1. Januar 1938
Brüderpfad 3, 33602 Bielefeld

Luis oder Louis, geboren am 8. Dezember 1956 in Schötmar und Berta Rieke Hamlet, geb. Nathan am 25. Januar 1869 in Jöllenbeck (es liegen unterschiedliche Geburtsdaten vor) hatten neun Kinder. Ihr Kind Margarethe wurde nur knapp ein halbes Jahr alt (29. Oktober 1889 bis 2. Februar 1899). So kommt es, dass sich Ruth, die jüngste Tochter der Familie, später wie folgt erinnert: „Acht Kinder waren wir zu Hause, vier große und vier kleine und alle von den gleichen Eltern.

1899 lebten die Eltern Berta und Luis Hamlet mit ihren Kindern zunächst in der Jöllenbecker Straße 51. Dort wurde Else am 2. Juni 1905 geboren. Als sie drei Jahre alt war, zog die Familie in die Königstraße 58 (heute: Walter-Rathenau-Straße) um. Zwei Jahre später siedelten sie in die Kronenstraße 6 über. Während des Ersten Weltkriegs musste die Familie den Tod des gerade 21-jährigen Sohnes Karl verschmerzen, der in Frankreich durch einen Brustschuss getötet wurde. Die zweitälteste Tochter Ottilie Alice heiratete am 2. Dezember 1919 Salomon Schneider und ging nach Duisburg. Im Jahr 1922 verzogen die Hamlets in das Haus am Brüderpfad 3, ein späteres „Judenhaus“. Alfred verstarb dort im Jahr 1930 nach einer Krankheit; er sei der Lieblingsbruder von Ruth gewesen. Else starb noch vor der Machtergreifung, am 19. Dezember 1932. Der Vater Luis starb am 26. September 1926 eines natürlichen Todes im Alter von 79 Jahren. Während 1938 Alfreds Zwillingsbruder Hermann Herbert zusammen mit seinen Schwestern Dorothea und Ruth über Elberfeld in die USA auswandern konnte, wurde die Schwester Marta, geb. am 5. März 1900, auch Martha oder Meta, mit ihrem Mann Leo Landau am 31. März 1942 nach Warschau deportiert. Beide wurden am 23. Januar 1957 für tot erklärt.

Ruth berichtet von diesen Tagen:

Ich lebte in der Wohnung meiner Mutter (Brüderpfad 3) bis zur Auswanderung. Leider konnte sie nicht mit uns kommen und verlebte ihre letzten Tage im jüdischen Krankenhaus in Hannover. Meine Schwester [Marta] und ihr Mann wurden in Theresienstadt ermordet. Ich wanderte mit meiner Schwester [Dorothea], Schwager und zwei Söhnen und Bruder Herbert nach Cincinnati [USA] aus. … Sie sind alle nach Seattle übersiedelt und ich folgte ein paar Monate später.“ (Decker, Heimweh 2007, S. 62)

Ruth hatte also ihre damals 72-jährige Mutter im von den Nationalsozialisten beherrschten Deutschland zurücklassen müssen. Der Bruder Hermann Herbert stellte später Anträge auf Wiedergutmachung für die Mutter Berta Rieke.

Im Jahr 1988 besuchte Ruth Schocken, geb. Hamlet, den Jüdischen Friedhof in Bielefeld, um die Grabstätten ihrer Eltern und des geliebten Bruders Alfred zu sehen. Auch den Namen ihrer Schwester Else entdeckte Ruth laut der Neuen Westfälischen vom 9. Juli 1988 dort auf einem Grabstein.

Spur aufgenommen und Recherche
Johanna Becker
Universität Bielefeld

Literatur

  • Decker, Brigitte (Hrsg.): Heimweh nach Bielefeld? Vertrieben oder deportiert: Kinder aus jüdischen Familien erinnern sich (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 22), Bielefeld 2007.
  • Meyer, Franz, Gedenkverzeichnis der in der NS-Zeit verfolgten, verschleppten und ermordeten Juden aus Bad Salzuflen und Schötmar, in: Jahrbuch Bad Salzuflen (1998), S. 174-189.
  • Minninger, Monika / Meynert, Joachim / Schäffer, Friedhelm (Hrsg.), Antisemitisch Verfolgte registriert in Bielefeld 1933-45. Eine Dokumentation jüdischer Einzelschicksale (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 4) Bielefeld 1985.

Quellen

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 18: Meldekartei Bielefeld-Mitte, 1920-1958.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 58: Meldekartei Bielefeld-Mitte, 1893-1930.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 1262: Hausbuch Brüderpfad 3.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 1402: Hausbuch Jöllenbeckerstr. 51.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 1437: Hausbuch Kronenstr. 6.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 1615: Hausbuch Königstraße/Walter-Rathenau-Str. 58.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108, 14/Friedhofsamt, Nr. 220.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/Amt für Wiedergutmachung, Nr. B 81.
Veröffentlicht am

Kommentieren Sie den Beitrag

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert **

Themen
  • Arbeitslager
  • Ereignis
  • Jugend
  • Nazi-Organisation
  • Person
  • Verfolgung
  • Widerstand
  • Alle Kategorien aktivieren
Navigiere zu