Familie Dreyer blieb nur noch die Emigration

1) Das Wohnhaus der Familie Dreyer in der August-Bebel-Straße 115, unten die Praxis von Dr. Dreyer.
1) Das Wohnhaus der Familie Dreyer in der August-Bebel-Straße 115, unten die Praxis von Dr. Dreyer. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,003/Fotosammlung, Nr. 11-0329-013.
2) Typisches Plakat während des Wirtschaftsboykotts, April 1933. Auch Familie Dreyer war mehrfach von dem Boykott betroffen.
2) Typisches Plakat während des Wirtschaftsboykotts, April 1933. Auch Familie Dreyer war mehrfach von dem Boykott betroffen. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,003/Fotosammlung, Nr. 95-13-014.
3) „Nur noch 2 jüdische Rechtsanwälte in Bielefeld zugelassen.“ - WNN vom 5. April 1933. Die Presse unterstützt die beruflichen Repressionen gegen Juden lautstark.
3) „Nur noch 2 jüdische Rechtsanwälte in Bielefeld zugelassen.“ - WNN vom 5. April 1933. Die Presse unterstützt die beruflichen Repressionen gegen Juden lautstark. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,003/Fotosammlung, Nr. 95-13-015.
4) Das zerstörte ehemalige Haus der Familie (rechts, hier Rückseite), nach dem Krieg 1949.
4) Das zerstörte ehemalige Haus der Familie (rechts, hier Rückseite), nach dem Krieg 1949. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400, 003/Fotosammlung, Nr. 11-0329-105.
7. Dezember 1938
August-Bebel-Straße 115, 33602 Bielefeld

Ab 1933 wurde der Bielefelder Familie Dreyer Stück für Stück die Existenzgrundlage entzogen. Am 7. September 1938 mussten sie ihre Heimat in Richtung Südafrika verlassen.

Fest in Bielefeld verankert

Felix Dreyer, der Vater der Familie (geb. 24. Mai 1874 in Bielefeld), war Arzt. Die Praxis von Dr. Dreyer befand sich mit im Wohnhaus der Familie, in der August-Bebel-Straße 115. Neben den Patientinnen und Patienten, zahlreichen Hausangestellten, Verwandten aus Berlin und befreundeten Familien, gehörten außerdem

  • Johanna Dreyer (geb. Marx, 27. Dezember 1879 in Elberfeld)
    • Kurt (geb. 31. Juli 1909 in Bielefeld),
    • Hans (geb. 18. Juli 1913 in Bielefeld) und
    • Ursula (geb. 14. Mai 1918 in Bielefeld)

zur Familie. Die Familie war immer auch gesellschaftlich aktiv, vor allem im Vereinsleben der Stadt. Johanna Dreyer beispielsweise, engagierte sich sozial und war Vorsitzende des Jüdischen Frauenvereins Bielefeld.

Zwischen Boykott und Berufsverbot

Früher als in anderen Berufsfeldern, wurden jüdische Ärzte und Anwälte systematisch an der Ausübung ihrer Berufe gehindert. Schon im Frühjahr 1933, im Kontext des reichsweiten Wirtschaftsboykotts, wurde jüdischen Anwälten und Richtern in Bielefeld der Zugang zum Gerichtsgebäude verwehrt. Während solche und andere berufliche Repressionen zunächst keinerlei gesetzliche Grundlage hatten, wurde Juden kurz darauf auch gesetzlich die Ausübung ihrer Berufe verwehrt. Am 7. April 1933 verabschiedete das NS-Regime das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Jüdische Beamte, außer sie hatten im Ersten Weltkrieg gekämpft oder Vater bzw. Söhne in diesem verloren, konnten nun ohne Weiteres aus dem Dienst entlassen werden. Auch jüdische Ärzte und Anwälte waren von diesem und ähnlichen Gesetzen betroffen. Und selbst, wer als Kriegsteilnehmer unter die Ausnahmeklausel fiel, konnte seinen Beruf nicht mehr in der Form ausüben, wie es vor der Machtergreifung der NSDAP der Fall war. Richter wurden strafversetzt, Ärzte, Anwälte und Notare verloren große Teile ihrer Kundschaft. Jüdinnen und Juden wurde es zunehmend schwieriger oder praktisch unmöglich, einen sicheren Lebensunterhalt zu bestreiten; wer konnte, emigrierte ins Ausland.

Dr. Dreyer musste seine Praxis schließen, Kurt und Hans Dreyer wurden entlassen

Familie Dreyer war in mehrfacher Hinsicht von der antisemitischen Stimmung und den oben genannten Gesetzen betroffen. Wenn Dr. Dreyer seine Praxis ab 1933 nur unter immer schwierigeren Bedingungen und finanziell ruinös halten konnte, wurde ihm der Betrieb 1938 endgültig untersagt. Kurt Dreyer studierte Jura, machte 1933 sein Examen und begann im Anschluss sein Referendariat am Amtsgericht Vlotho; noch im selben Jahr wurde er auf Grundlage des „Beamtengesetzes“ entlassen. Sein Bruder Hans begann im April 1933 eine kaufmännische Lehre in Bielefeld; 1935 wurde auch er aufgrund von „rassenideologischen Gründen“ entlassen. Stück für Stück brach der Familie die Existenzgrundlage weg.

Emigration nach Südafrika

Hans Dreyer befand sich ab dem 18. Mai 1935 „auf Reisen“, einige Monate später auch Kurt. In Folge der Repressionen durch die Nationalsozialisten emigrierten sie über die Niederlande, England und Irland nach Johannesburg, Südafrika. Am 7. September 1938, knapp zwei Monate bevor im Zuge der Novemberpogrome die Bielefelder Synagoge in Flammen stand, trat auch der Rest der Familie diesen Weg an. Die finanziellen Mittel der einst recht wohlhabenden Familie waren hier schon so weit zusammengeschrumpft, dass die Ausreise nur durch Verkauf des Grundstücks und mit Hilfe von Verwandten möglich gemacht werden konnte.

Spur aufgenommen und Recherche
Steven Giesbrecht
Universität Bielefeld

Literatur

  • Minninger, Monika / Meynert, Joachim / Schäffer, Friedhelm (Hrsg.), Antisemitisch Verfolgte registriert in Bielefeld 1933-45. Eine Dokumentation jüdischer Einzelschicksale (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte, Bd. 4), Bielefeld 1985.
  • Minninger, Monika/ Stüber, Anke / Klussmann, Rita, Einwohner – Bürger – Entrechtete. Sieben Jahrhunderte jüdisches Leben im Raum Bielefeld (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte, Bd. 6), Bielefeld 1988.
  • Niemann, Ursula, Liste der um 1933 in Bielefeld ansässig gewesenen Juden und ihre Schicksale sowie ein Überblick über die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Bielefeld, Bielefeld 1972.
  • Peiffer, Lorenz, Bielefeld, in: Pfeiffer, Lorenz / Heinrich, Arthur (Hrsg.), Juden im Sport in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Ein historisches Handbuch für Nordrhein-Westfalen, Göttingen 2019, S. 115-125.
  • Research Foundation for Jewish Immigration, Dreyer, Kurt, in: Research Foundation for Jewish Immigration / Institut für Zeitgeschichte München (Hrsg.), The Arts, Sciences, and Literature (Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Bd. 2, 1), München 1983, S. 226.

Quellen

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 18.: Meldekartei Bielefeld-Mitte, 1920-1958.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109, 003 / Amt für Wiedergutmachung Stadt, Nr. B 41.
Veröffentlicht am und aktualisiert am 18. Februar 2022

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