1938 wurde die Politik der Nationalsozialisten für die Juden immer unerträglicher, so dass einige von ihnen über eine Auswanderung nachdachten. Auch der Steinzeitforscher Siegfried Junkermann bereitete seine Ausreise nach England vor. Er war der Begründer der Archäologie in unserer Region. 1922 hat er die „Arbeitsgemeinschaft für Vorgeschichte für Minden-Ravensberg und Lippe“ gegründet und war bis 1934 ihr Vorsitzender. Dieser AG gehörten alle in der Archäologie tätigen Wissenschaftler und Laien an. Mit seiner vorbildlichen Sammeltätigkeit und wissenschaftlichen Arbeiten setzte er Maßstäbe und wurde deshalb geachtet. Weil er aber Jude war, wurde er verachtet und nach 1933 ausgegrenzt.
Siegfried Junkermann wurde am 2. Mai 1872 als ältester Sohn einer Kaufmannsfamilie in Bielefeld geboren. Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm er das Textilgeschäft seines Vaters in Bielefeld. In seiner Freizeit wanderte er durch das Gebiet zwischen Borgholzhausen und Paderborn und fand viele Wohnplätze der Steinzeit. 1926 hat er für das erste Stadtbuch einen Beitrag über die Menschen der Steinzeit in unserem Gebiet geschrieben.
Seine Sammlung war berühmt. 1936 kam Professor Oswald Menghin, der Archäologe aus Wien, nach Bielefeld und hat vier Tage lang Junkermanns Sammlung begutachtet. Die Ergebnisse dieser Arbeit hat er veröffentlicht und auch den Namen Junkermanns genannt. Allerdings hat er verschwiegen, dass Junkermann Jude war. Dieser Wissenschaftler war Nationalsozialist und Judenhasser. 1936 wurde er zum Rektor der Universität Wien gewählt. Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich war er Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung in der Ostmark. Er hat für die „Säuberung der Universitäten“ gesorgt. Alle jüdischen Professoren und Studenten wurden aus den Universitäten verbannt.
Viele der wissenschaftlichen Mitglieder der AG Junkermanns waren Judenhasser und deshalb an seiner Ausgrenzung beteiligt.
Der Leiter des Historischen Museums, Dr. Eduard Schoneweg (1886-1986) führte das Museum im Sinne der nationalsozialistischen Rassen- und Heimatideologie. Im Mai 1933 war er in die NSDAP eingetreten. 1945 wurde er vom Dienst suspendiert und 1947 entlassen.
Friedrich Langewiesche (1867-1958) wurde 1929 bei der Altertumskommission als hauptamtlicher Mitarbeiter eingestellt. Er gehörte dem Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten an. Diese Gruppierung trat entschieden gegen die Demokratie ein und war antijüdisch ausgerichtet. 1939 trat Langewiesche der NSDAP bei.
Am 13. Januar 1934 wurde Junkermann als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft abgesetzt. Die Versammlung leitete Friedrich Langewiesche, Junkermanns Stellvertreter, Walter Adrian führte das Protokoll.
1938 erfuhr Dr. Schoneweg, dass Junkermann seine Ausreise nach England vorbereitete. Er drängte die Stadtverwaltung dazu, die Sammlung zu kaufen. Die NSDAP wollte die Sammlung beschlagahmen, was aber auf den Widerstand der Archäologen traf. Die Stadt kaufte die wertvolle Sammlung, allerdings zu einem unverhältnismäßig niedrigen Preis.
Kurz darauf, noch vor dem organisierten Judenpogrom, den die Nazis „Reichskristallnacht“ nannten, gelang Junkermann die Ausreise. Über sein Leben in England ist kaum etwas bekannt. Am 18. November 1944 verstarb er im Alter von 72 Jahren in England an den Folgen eines Schlaganfalls. Seine Urne wurde nach dem Krieg auf dem jüdischen Friedhof in Bielefeld beim Grab seiner Frau Else Junkermann beigesetzt. Seine beiden Söhne Kurt und Hans Louis Junkermann wurden entschädigt.
Spur aufgenommen und Recherche
Heinz-Dieter Zutz
Stolperstein-Initiative Bielefeld e.V.
Initiativkreis Deportationsausstellung Bielefeld e.V.