Der jüdische Kaufmann Julius Hesse wurde am 23. April 1875 in Borgholzhausen geboren und war mit Jenni Hesse geb. Sieger verheiratet. Das Ehepaar hatte drei Töchter: Ruth (geb. 1908), Lore (geb. 1909) und Anneliese (geb. 1918).
Julius Hesse lebte seit 1903 in Bielefeld und war Inhaber des bekannten Schuh- und Sportgeschäfts Hesse & Co. in der Rathausstraße 1, inmitten der Bielefelder Altstadt. Die Tochter Ruth war im Geschäft des Vaters beschäftigt.
Seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten änderte sich das Leben der Familie Hesse grundlegend. Dem Boykott des Geschäfts am 1. April 1933 folgten Schmierereien an den Schaufenstern und offene Bedrohungen:
„Heil Hitler! Schuhe kauft man nur bei Wittler! Kauf sie bloß nicht bei Hesse, sonst bekommst du was in die Fresse!“
Zweifellos führten die Einschüchterungsaktionen zu erheblichen Umsatzeinbußen. Die Not und der Leidensdruck des Ehepaars Hesse zeigt ein vereitelter Suizidversuch wahrscheinlich 1935. Wie aus Archivakten hervorgeht, plante das Ehepaar eine Flucht in das benachbarte Ausland. Dieses Vorhaben führte 1935 zum Verkauf des Geschäfts an Hesses Prokuristen Walter Bartels. Im selben Jahr wurde auch das Wohnhaus in der Beethovenstraße 8 veräußert. Eine Flucht ins Ausland scheiterte dennoch. Im Zuge der Pogromnacht 1938 verhaftete die Gestapo Bielefeld Julius Hesse und verschleppte ihn am 11. November 1938 in das Konzentrationslager Buchenwald.
Nach seiner Entlassung aus dem Lager lebte das Ehepaar Hesse faktisch ohne Vermögen und mittlerweile schwer erkrankt in der vierten Etage ihres ehemaligen Wohn- und Geschäftshauses in der Rathausstraße 1. Seit dem 10. August 1942 befand sich das Ehepaar Hesse im so genannten „Alten- und Siechenheim“, einer Holzbaracke auf dem Gelände des jüdischen Zwangsarbeitslagers Schloßhofstr. 73a. Seit dem 16. Oktober 1942 mussten er und seine Frau Jenni in der Lützowstr. 10, einem so genannten „Judenhaus“ mit zahlreichen anderen jüdischen Bewohnern leben. Am 12. Mai 1943 erfolgte von Bielefeld über Münster die Deportation des Ehepaars Hesse in das Konzentrationslager Theresienstadt.
Dem Transport ging der erzwungene Abschluss eines „Heimeinkaufsvertrages“ für das vermeintliche Musterlager voraus. Julius Hesse starb am 6. März 1944 in Theresienstadt, seine Frau Jenni wurde im Vernichtungslager Auschwitz ermordet.
Den Töchtern Ruth, Lore und Anneliese gelang 1937 bzw. 1938 die Flucht ins Ausland. Sie überlebten die Verfolgung des NS-Regimes.
Julius Hesse war von 1909 bis 1914 Präsident des 1. BFC Arminia, heute DSC Arminia Bielefeld. Er galt als „Vereinsretter“ und stellte Arminia auf wirtschaftlich und juristisch sichere Beine. In seiner Amtszeit wurde eine neue Sportanlage gefunden und der sportliche Erfolg kehrte zurück. Falls er 1933 noch Vereinsmitglied war, wurde er wie alle weiteren jüdischen Arminen aus dem Verein ausgeschlossen, weil er Jude war. Seit dem 31. Mai 2021 erinnert hinter der Westtribüne der SchücoArena der Julius-Hesse-Platz mit einer Informationstafel an den ehemaligen Präsidenten und weitere jüdische Mitglieder des Vereins. Initiator war die Julius-Hesse-Arbeitsgemeinschaft, bestehend aus dem Fan-Projekt Bielefeld, dem DSC Arminia Bielefeld, dem ASC Supporters Club sowie der NS- Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg. Jahre zuvor übernahm die Fan-AG die Patenschaft für die in der Rathausstraße 1 verlegten Stolpersteine für Jenni und Julius Hesse.
Spur aufgenommen und Recherche
Friedhelm Schäffer
Julius-Hesse-Arbeitsgemeinschaft
(eine Kooperation des Fan-Projekts Bielefeld, des DSC Arminia Bielefeld, des ASC Supporters Club und der NS-Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg)