Mit der Deportation von älteren Jüdinnen und Juden nach Theresienstadt war ein besonders perfider Betrug der Nationalsozialisten verbunden. Den Deportierten wurde suggeriert, sie könnten sich mit einem „Heimeinkaufsvertrag“ einen Platz in einem dortigen Altenheim sichern – für den sie vorab mehr oder weniger große Teile ihres Vermögens per Unterschrift freigeben mussten. Im „Heimeinkaufsvertrag“ von Clara Thalberg, der auf den 28. Juli 1942, drei Tage vor ihrer Deportation, ausgestellt wurde, sticht ein zusätzlicher Hinweis hervor: „für ein Jahr“. Was steckt hinter dieser im Vergleich ungewöhnlichen Anmerkung? Die Suche nach biographischen Spuren hat erwiesen, dass Clara Thalberg eine bereits schwer kranke, hilfebedürftige Frau war. Selbst wenn sie wohl nicht wusste, wie verheerend die Lebensbedingungen in Theresienstadt tatsächlich sein würden, erwartete sie vermutlich nicht, dass sie auch noch diesen – weiteren – Zwangsumzug lange überleben würde. Sie starb dort nach einem halben Jahr.
Clara Thalberg wurde am 6. August 1873 in die Bielefelder Textilunternehmerfamilie Speyer hineingeboren und wuchs in einer bürgerlichen Familie auf, standesgemäß mit Hauspersonal. Bis zur Abschlussklasse besuchte sie die Höhere Töchterschule. Mit 34 Jahren heiratete sie den deutlich älteren Spediteur Moses Thalberg aus Wetzlar. Nach dessen Tod kehrte sie nach zehn Jahren von dort nach Bielefeld zurück und wohnte ab 1917 als kinderlose Witwe wieder in der Viktoriastraße 29.
Als Clara Thalberg 1938, veranlasst durch den Verkauf des Elternhauses und damit verbundene Erbstreitigkeiten, in eine kleine Mietwohnung in der Bahnhofstraße 42 umzog, war sie möglicherweise bereits krank. Dies geht aus einem Schreiben hervor, mit dem sie wenig später beim Wohnungsamt den Zuzug einer Haushaltshilfe beantragte. Sie sei schwer herzleidend und umfänglich hilfebedürftig. Eine ihrer Hausangestellten aus dieser Zeit erwähnte, dass Clara Thalberg „drei Rippen weggenommen“ wurden, „sodaß sie ihren Haushalt nicht selbst versehen kann.“ Dessen ungeachtet wurde Clara Thalberg 1941 und 1942 zu Umzügen in „Judenhäuser“ gezwungen, erst in den Obertorwall 2 und dann in die Detmolderstraße 4.
Am 31. Juli 1942 wurde Clara Thalberg schließlich nach Theresienstadt deportiert. Die unmenschlichen Lebensbedingungen dort hatten nichts mit dem versprochenen Altenheim zu tun. Clara Thalberg starb am 5. Februar 1943. Viele der überwiegend älteren Menschen kamen in diesem Ghetto durch Hunger und Schwäche nach sehr kurzer Zeit ums Leben, darunter auch ihr Bruder Hugo Speyer.
Auch von den Frauen, die für Clara Thalberg als Hilfen in der Bahnhofstraße 42 tätig waren, haben mindestens sechs die Shoa nicht überlebt. Sie wurden in Auschwitz, Chelmo (Kulmhof), Stutthoff und Warschau ermordet, nur weil sie Jüdinnen waren.
Spur aufgenommen und Recherche
Veronika Tacke