Clara Thalberg – Theresienstadt „für ein Jahr“?

Bittbrief von Clara Thalberg an das Wohnungsamt Bielefeld, 1940.
Bittbrief von Clara Thalberg an das Wohnungsamt Bielefeld, 1940. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 101,5/Geschäftsstelle V, Nr. 551.
„Heimeinkaufsvertrag“ für Theresienstadt (Vorderseite).
„Heimeinkaufsvertrag“ für Theresienstadt (Vorderseite). Bundesarchiv, Bestand 75 c Re 1 – RVJD, Heimeinkaufsverträge XI 201-350, Nr. 0039/40 .
„Heimeinkaufsvertrag“ für Theresienstadt (Rückseite). Bundesarchiv, Bestand 75 c Re 1 – RVJD, Heimeinkaufsverträge XI 201-350, Nr. 0039/40
Wohnhaus und Hotel, Bahnhofstraße 42, ca. 1940.
Wohnhaus und Hotel, Bahnhofstraße 42, ca. 1940. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 11-0342-013.
28. Juli 1942
Bahnhofstraße 42, 33602 Bielefeld

Ein „Heimeinkaufsvertrag“ für das Ghetto Theresienstadt

Mit der Deportation von älteren Jüdinnen und Juden nach Theresienstadt war ein besonders perfider Betrug der Nationalsozialisten verbunden. Den Deportierten wurde suggeriert, sie könnten sich mit einem „Heimeinkaufsvertrag“ einen Platz in einem dortigen Altenheim sichern – für den sie vorab mehr oder weniger große Teile ihres Vermögens per Unterschrift freigeben mussten. Im „Heimeinkaufsvertrag“ von Clara Thalberg, der auf den 28. Juli 1942, drei Tage vor ihrer Deportation, ausgestellt wurde, sticht ein zusätzlicher Hinweis hervor: „für ein Jahr“. Was steckt hinter dieser im Vergleich ungewöhnlichen Anmerkung? Die Suche nach biographischen Spuren hat erwiesen, dass Clara Thalberg eine bereits schwer kranke, hilfebedürftige Frau war. Selbst wenn sie wohl nicht wusste, wie verheerend die Lebensbedingungen in Theresienstadt tatsächlich sein würden, erwartete sie vermutlich nicht, dass sie auch noch diesen – weiteren – Zwangsumzug lange überleben würde. Sie starb dort nach einem halben Jahr.

Tochter aus gutem Hause

Clara Thalberg wurde am 6. August 1873 in die Bielefelder Textilunternehmerfamilie Speyer hineingeboren und wuchs in einer bürgerlichen Familie auf, standesgemäß mit Hauspersonal. Bis zur Abschlussklasse besuchte sie die Höhere Töchterschule. Mit 34 Jahren heiratete sie den deutlich älteren Spediteur Moses Thalberg aus Wetzlar. Nach dessen Tod kehrte sie nach zehn Jahren von dort nach Bielefeld zurück und wohnte ab 1917 als kinderlose Witwe wieder in der Viktoriastraße 29.

Krankheit in den Jahren des Nationalsozialismus

Als Clara Thalberg 1938, veranlasst durch den Verkauf des Elternhauses und damit verbundene Erbstreitigkeiten, in eine kleine Mietwohnung in der Bahnhofstraße 42 umzog, war sie möglicherweise bereits krank. Dies geht aus einem Schreiben hervor, mit dem sie wenig später beim Wohnungsamt den Zuzug einer Haushaltshilfe beantragte. Sie sei schwer herzleidend und umfänglich hilfebedürftig. Eine ihrer Hausangestellten aus dieser Zeit erwähnte, dass Clara Thalberg „drei Rippen weggenommen“ wurden, „sodaß sie ihren Haushalt nicht selbst versehen kann.“ Dessen ungeachtet wurde Clara Thalberg 1941 und 1942 zu Umzügen in „Judenhäuser“ gezwungen, erst in den Obertorwall 2 und dann in die Detmolderstraße 4.

Tod in Theresienstadt – nach einem halben Jahr

Am 31. Juli 1942 wurde Clara Thalberg schließlich nach Theresienstadt deportiert. Die unmenschlichen Lebensbedingungen dort hatten nichts mit dem versprochenen Altenheim zu tun. Clara Thalberg starb am 5. Februar 1943. Viele der überwiegend älteren Menschen kamen in diesem Ghetto durch Hunger und Schwäche nach sehr kurzer Zeit ums Leben, darunter auch ihr Bruder Hugo Speyer.

Auch von den Frauen, die für Clara Thalberg als Hilfen in der Bahnhofstraße 42 tätig waren, haben mindestens sechs die Shoa nicht überlebt. Sie wurden in Auschwitz, Chelmo (Kulmhof), Stutthoff und Warschau ermordet, nur weil sie Jüdinnen waren.

Spur aufgenommen und Recherche
Veronika Tacke

Literatur

  • Adler, Hans Günther, Die verheimlichte Wahrheit, Theresienstädter Dokumente, Göttingen 1958
  • Adler, Hans Günter, Theresienstadt 1941-1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft. Tübingen 1955
  • Ebertz, Doris/Ebertz, Walter, Die jüdischen Familien in Wetzlar. Ein Gedenkbuch, Hrsg. vom Wetzlarer Geschichtsverein, Wetzlar 2010 (S. 458 ff. zur Familie von Moses Thalberg)
  • Hartmann, Jürgen, Die Bezirksstelle Westfalen der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland
  • in Bielefeld 1939 bis 1943, in: Rosenland 25/2021, S. 68-152 (S. 116 ff. zu Heimeinkaufsverträgen). URL
  • Minninger, Monika / Meynert, Joachim / Schäffer, Friedhelm (Hrsg.), Antisemitisch Verfolgte registriert in Bielefeld 1933-45. Eine Dokumentation jüdischer Einzelschicksale (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 4) Bielefeld 1985
  • Wagner, Bernd J., Deportationen in Bielefeld und Ostwestfalen 1941-1945, in: Asdonk, Jupp / Buchwald, Dagmar / Havemann, Lutz / Horst, Uwe / Wagner, Bernd J. (Hrsg.), „Es waren doch unsere Nachbarn!“, Deportationen in Ostwestfalen-Lippe 1941-1945 (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 24), Bielefeld 2012, S. 70-127, insb. S. 94ff.

Quellen

  • Bundesarchiv, Bestand 75 c Re 1 – Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Heimeinkaufsverträge XI 201-350, Nr. 0039/40
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 100, 2/Ältere Akten, Nr. 2498-2506
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 101,5/Geschäftsstelle V, Nr. 551 Bd. 1
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 1238: Hausbuch Bahnhofstr. 42
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 1278:Hausbuch Detmolder Straße 4
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 1500: Hausbuch Oberntorwall 2
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 1604: Hausbuch Viktoriastraße 29
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109, 3/Amt für Wiedergutmachung Stadt, Nr. B 201
Veröffentlicht am und aktualisiert am 5. Juni 2025

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