Die Biografie des jüdischen Bielefelder Kaufmanns Alfred Gottschalk und seiner Familie steht stellvertretend für das Schicksal zahlreicher, gut in die Bielefelder Gesellschaft integrierter jüdischer Familien während der Zeit des Nationalsozialismus.
Alfred Gottschalk wurde am 28. Oktober 1888 als Sohn der angesehenen jüdischen Kaufmannsfamilie Bernhard und Regine Gottschalk (geb. Herzfeld) in Bielefeld geboren. Nach dem Besuch des Bielefelder Realgymnasiums, erhielt er 1914 das Zeugnis zum „einjährig-freiwilligen Dienst“ und trat daraufhin am 8. April 1915 in das 13. Landsturm-Infanterie-Ersatz-Bataillon VII. A.K. Sennelager ein. Am 28. November 1916 wurde er zum Gefreiten ernannt und am 9. Dezember 1918 entlassen.
Am 1. Januar 1919 trat er als Gesellschafter in das 1886 von seinem Vater Bernhard und Onkel David in Bielefeld eröffnete Manufaktur- und Modewarengeschäft „Gebr. Gottschalk“ ein. Am 8. Juni 1919 heiratete er Wally, geborene Hildesheimer am 4. April 1894 in Schlüsselburg. Im darauffolgenden April 1920 wurde die erste Tochter Anneliese, 1923 Ursula (Ida) und 1928 Bärbel (Ruth) Gottschalk geboren. Durch eine erfolgreiche Geschäftspolitik prosperierte das Geschäft „Gebr. Gottschalk“ und so entstand 1920 ein modernes Kaufhaus in der Niedernstraße 29-31.
Auch in der Weimarer Republik war das Kaufhaus ein wachsendes Unternehmen und schuf neue Arbeitsplätze. Nach dem Tod seines Onkels und des Vaters war er ab 1921 zwar alleiniger Geschäftsführer, jedoch traten nun die Witwe Regine (geb. Herzfeld) von Bernhard Gottschalk infolge des Erbgangs in fortgesetzter Gütergemeinschaft mit ihren Kindern Alfred, Otto und Walter Gottschalk in die Gesellschaft ein.
Nachdem im März 1926 in der Gütersloher Kökerstraße ein weiteres Kaufhaus eröffnet wurde, feierten im Oktober 1926 die Brüder Gottschalk, als Inhaber eines der größten Kaufhäuser Bielefelds, ihr vierzigjähriges Geschäftsjubiläum.
Infolge der Weltwirtschaftskrise Ende 1929 gerieten auch die Kaufhäuser der Gebrüder Gottschalk in eine finanzielle Krise. Ein gerichtliches Vergleichsverfahren im November 1932 diente zur Abwendung des Konkurses. Dezember 1932 wurde der Vergleichsvorschlag angenommen und das Verfahren wurde aufgehoben. Am Jahresende erfolgte jedoch ein Totalausverkauf wegen vollständiger Geschäftsaufgabe. Der Firmensitz der „Gebr. Gottschalk“ wurde Oktober 1933 nach Gütersloh verlegt.
Infolge des Arisierungserlasses von 1933 wurde das Geschäftshaus der Firma Gebr. Gottschalk 1934 von der „arischen“ Firma Gustav Köring, Porzellan- und Glaswarenhandlung erworben. Dennoch erhielt Alfred Gottschalk im Januar 1935 vom Bielefelder Oberbürgermeister Dr. Paul Prieß als Erinnerung an den Weltkrieg 1914/18 das Ehrenkreuz für Kriegsteilnehmer.
Nachdem sein Bruder Otto bereits mit dessen Familie 1938 nach Chile emigriert war, stellte auch Alfred Gottschalk für sich und seine Familie einen Einwanderungsantrag. Dieser wurde genehmigt und lag bereits am 17. November 1939 dem Chilenischen Konsulat in Berlin vor. Die deutschen Behörden zögerten die Ausreisegenehmigung jedoch ständig hinaus, bis sie, infolge eines staatlichen Erlasses im Oktober 1941, der ein endgültiges Ausreiseverbot für Juden beinhaltete, unmöglich wurde. Nur der ältesten Tochter Anneliese gelang noch im August 1939 die Flucht über London in die USA. Die Familie Gottschalk musste voraussichtlich am 30. März 1942 ihre Wohnung verlassen und wurde im Sammellager „Kyffhäuser“ untergebracht. Mit dem Deportationszug vom 31. März 1942 ,Da6´ wurden Wally, Ursula, Bärbel und Alfred Gottschalk mit weiteren 44 Jüdinnen und Juden aus Bielefeld gegen 15:30 Uhr vom Hauptbahnhof Bielefeld ins Warschauer Ghetto deportiert und in der Shoah ermordet.
Heute erinnern vier im November 2007 verlegte Stolpersteine vor dem Wohnhaus in der Detmolder Straße 129 an das Schicksal der jüdischen Familie Gottschalk. Auch in der Gedenkstätte Yad Vashem wird die Erinnerung an das Schicksal von Alfred und Wally Gottschalk bewahrt.
Spur aufgenommen und Recherche
Ingrid und Johannes Helfmann