Bernhard und Irmgard Buchholz: Eine Familie wird auseinandergerissen

Meldekarte von Bernhard Buchholz.
Meldekarte von Bernhard Buchholz. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 18.
9. November 1938
Ritterstraße 75, 33602 Bielefeld

In der Pogromnacht am 9. November 1938 brannten an vielen Orten des Deutschen Reichs die Synagogen und jüdische Geschäfte wurden zerstört, geplündert und verwüstet. Das geschah auch bei der Firma für Lederwaren Gottlieb Vogt in der Ritterstraße 75 in Bielefeld. Bernhard Buchholz betrieb sie zusammen mit seiner Frau Irmgard Buchholz, geb. Hellwitz. Beide waren 1933 aus Detmold kommend in Bielefeld ansässig geworden – vermutlich war er nach Bielefeld geschickt worden, um die dortige Filiale der Fa. Gottlieb Vogt aufzubauen und zu betreiben. Zusammen hatten sie zwei Kinder, Ilse (geb. 1922) und Gerhard (geb. 1926).

Auch seit der „Machtergreifung“ 1933 gab es immer wieder Boykott-Aktionen gegen jüdische Geschäfte. Viele Jüdinnen und Juden in Deutschland hofften zu diesem Zeitpunkt noch, dass ihnen eine Auswanderung das Leben retten würde – so emigrierte die erst 16-jährige Ilse nach Palästina. Der Plan war, dass die gesamte Familie nachkommen sollte. Am 28. August 1939 schrieb Bernhard Buchholz an seine Tochter in Jerusalem:

„Mein lieber Ilsespatz! […] Hoffentlich ist dieser Brief nicht lange unterwegs. Nachricht wirst Du von uns bekommen, aufregen brauchst Du Dich nicht. Es geht der Familie gut. Bist du noch immer draußen tätig? Beim Siedeln musst uns evtl. dann noch tüchtig anlernen. Recht viele Grüße und Küsse, Dein Vater“.
(Decker 2007, S. 200)

„Jahrelang dachte ich darüber nach, wie fühlten sich meine Eltern, fast fünf Jahre bis zum Kriegsende. Sie, die nie jemandem Leid antaten. Wie überlebten sie, bevor und nachdem sie mit Gewalt getrennt wurden? Litten Kälte, Hunger, Leid – alles Fragen, die uns 50 Jahre nie verlassen haben.“
(Gerhard Buchholz im Jahr 2002, aus Decker 2007, S. 195)

Die Situation wurde immer schlimmer. Weniger als ein Jahr nach dem Pogrom, im September 1939, musste die Familie ihre Wohnung in der Stapenhorststraße verlassen und in das „Judenhaus“ in der Ritterstraße 57 ziehen – nur wenige Meter von ihrem alten Geschäft entfernt. Es gelang noch, den dreizehnjährigen Gerhard zu seiner Schwester nach Israel zu schicken – den Eltern glückte eine Ausreise nicht. Im Dezember 1941 wurden beide gemeinsam mit den anderen Bielefelder Jüdinnen und Juden nach Riga deportiert. Irmgard starb am 9. Oktober 1944 im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig, Bernhard am 26. Dezember 1944 im Außenlager Rehmsdorf Tröglitz des Konzentrationslagers Buchenwald. Ihre Kinder Irma und Gerhard überlebten den Krieg in Israel.

Spur aufgenommen und Recherche
David Hecken (Erstversion als PDF)
Landesarchiv Nordrhein Westfalen – Abteilung OWL

Weitere Recherchen
Dr. Franz-Josef Wittstamm
Spuren im Vest

Literatur

  • Decker, Brigitte (Hrsg.), Heimweh nach Bielefeld? Vertrieben oder deportiert: Kinder aus jüdischen Familien erinnern sich (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 22), Bielefeld 2007.
  • Minninger, Monika / Meynert, Joachim / Schäffer, Friedhelm (Hrsg.), Antisemitisch Verfolgte registriert in Bielefeld 1933-45. Eine Dokumentation jüdischer Einzelschicksale (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 4), Bielefeld 1985.
  • Minninger, Monika / Stüber, Anke / Klussmann, Rita (Hrsg.), Einwohner, Bürger, Entrechtete – Sieben Jahrhunderte jüdisches Leben im Raum Bielefeld (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 6), Bielefeld 1988.
  • Niemann, Ursula, Liste der um 1933 in Bielefeld ansässig gewesenen Juden und ihre Schicksale sowie ein Überblick über die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Bielefeld, Bielefeld 1972.

Quellen

  • Adressbücher der Stadt Bielefeld 1933 und 1938.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,1/Ordnungsamt, Nr. 1181.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 18: Meldekartei Bielefeld-Mitte, 1920-1958.
Veröffentlicht am und aktualisiert am 22. Januar 2024

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