Wie die Novemberpogromnacht 1938 die Familie David, Lina und Erich Blumenthal zum Handeln zwang

Einträge von David, Lina und Erich Blumenthal im Hausbuch Ravensbergerstraße 52“.
Einträge von David, Lina und Erich Blumenthal im Hausbuch Ravensbergerstraße 52“. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 1522: Hausbücher Ravensbergerstraße.
19. Dezember 1938
Ravensbergerstraße 52, 33602 Bielefeld

Die Ereignisse der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 veranlassten David, Lina und Erich Blumenthal dazu, Hab und Gut in Hessisch Oldendorf zu verkaufen und zu ihrer Verwandtschaft nach Bielefeld zu ziehen.

David Blumenthal wurde am 23. Februar 1877 in Hessisch Oldendorf geboren. Er hatte das Haus seiner Eltern geerbt und lebte dort mit seiner Frau Lina Blumenthal, (geb. Grünewald, 13. August 1979 in Nieheim), und ihren gemeinsamen Kindern Erich (geb. 28. März 1908) und Lieselotte (geb. 21. November 1920).

Seit dem 1. Januar 1923 betrieb er einen gut laufenden Viehhandel in seinem Heimatort. Ab April 1933 wurde sein Geschäft aus rassistischen Gründen boykottiert und er erlitt erhebliche Einbußen (bis zu 75% weniger Einkommen). Als ihm dann nach einem Erlass zum Ende des Jahres 1937 die Zulassung zum Handel entzogen wurde, geriet die Familie in eine finanzielle Notsituation. Noch konnte der Sohn Erich, der in Wuppertal-Elberfeld als gelernter Kaufmann in einer Firma tätig war, die Eltern finanziell unterstützen. Ende August 1938 verlor auch Erich seine Anstellung und zog zu den Eltern.

Aus den Unterlagen des Wiedergutmachungsverfahrens geht hervor, dass die Familie Blumenthal aufgrund der Ereignisse der Novemberpogromnacht 1938 gezwungen war, ihr Haus und Grund aus Verfolgungsgründen zu verlassen und aufgrund ihrer finanziellen Lage zu verkaufen. Durch die Feststellung der Judenvermögensabgabe von Ende November 1938 war jeder jüdische Bürger, der mehr als 5000 Reichsmark besaß, verpflichtet zunächst 20% und später nochmal 5% des Besitzes in fünf zeitlich festgelegten Raten abzuführen. David und Lina Blumenthal veräußerten ihren Besitz, um diese finanzielle Ausgabe stemmen zu können.

In Bielefeld waren David und Erich Blumenthal ab dem 19. Dezember 1938 in der Ravensbergerstraße 52 bei Verwandten gemeldet. Lina reiste später nach und wird im Hausbuch ab dem 23. Januar 1939 geführt. David war in Bielefeld ab dem 10. Mai 1939 als Arbeiter bei verschiedenen Arbeitgebern tätig.

Mit kurzen Unterbrechungen wurde er bis zum 7. Juli 1942 beschäftigt. Am 8. und 9. Juli 1942 tätigte er noch Überweisungen an die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland (RVJD). Am 11. Juli 1942 sind er, seine Frau Lina und weitere Bewohner der Ravensbergerstraße 52 als „abgeschoben“ vermerkt. Die Meldekarte von David und Lina hat am 11. Juli 1942 den Eintrag „unbekannt abgeschoben“. Danach verliert sich ihre Spur.

Man geht davon aus, dass David und Lina Blumenthal mit dem Deportationszug am 10. Juli 1942 nach Auschwitz deportiert wurden und dort ums Leben kamen. Das Amtsgericht Bielefeld erklärte beide mit dem Todestag 31. Dezember 1945 für tot. Mit ihnen deportiert wurden auch ihre Verwandten Rosa Dreifuss (geb. Blumenthal, 15. Juni 1884 in Hessisch Oldendorf) und Marie Meta Blumenthal, (geb. 11. Februar 1875 in Hessisch Oldendorf), bei denen sie zuvor untergekommen waren. Marie war laut Wiedergutmachungsakte wohlhabend. Das ihr zur Hälfte gehörende Grundstück Ravensbergerstraße 52 wurde 1942 beschlagnahmt.

Erich und Lieselotte Blumenthal überlebten. Erich gelang es im August 1939, wie seiner Schwester nach England zu emigrieren. Dort heiratete er 1940 und wanderte 1947 mit seiner Frau in die USA aus. Seine Schwester Lieselotte blieb in England.

Spur aufgenommen und Recherche
Amke Westhäusser

Literatur

  • Minninger, Monika / Meynert, Joachim / Schäffer, Friedhelm (Hrsg.), Antisemitisch Verfolgte registriert in Bielefeld 1933-45. Eine Dokumentation jüdischer Einzelschicksale (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 4) Bielefeld 1985.
  • Naczinsky, Simon, Rückerstattung ‘arisierter’ Unternehmen nach dem Militärregierungsgesetz Nr. 59 der amerikanischen Besatzungszone: Eine Betrachtung der Rückerstattungspraxis anhand Nürnbergs jüdischer Hopfenhandlungen, Regensburg 2021.

Quellen

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/Wiedergutmachung, Nr. B 19
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/Wiedergutmachung, Nr. B 180
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 1522: Hausbücher Ravensbergerstraße
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