Der ärztliche Bericht aus dem Jahr 1955 beginnt mit den Worten: „Er war bis zum Ausbruche der Verfolgungen ein gestandener Mann.“ Damit beschreibt die Medizinerin ihren Patienten Robert Nachmann, der zu dieser Zeit in Philadelphia lebte. In dem Attest wird er als depressiv und nervös beschrieben, mit einem schwachen Körperbau, was auf die schweren Misshandlungen und die Verfolgung durch die Nationalsozialisten zurückzuführen ist.
Robert Nachmann war am 24. Juli 1896 in Polle/Weser als ältestes Kind von Max und Minna Nachmann geboren worden. Er hatte zwei Schwestern, die früh starben. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er als Feldsoldat und wurde in Russland verwundet. Zeitzeugen beschrieben ihn als leichtsinnig, er hätte seinem Vater das Geld aus der Tasche gezogen.
1922 zog Robert Nachmann von Polle nach Bielefeld, um dort als Handlungsgehilfe zu arbeiten. Am 1. März 1926 gründete er in der Schloßhofstraße 18 eine Rohproduktenhandlung (An- und Verkauf von Lumpen, Altmetall etc.), zwei Jahre später heiratete er in Beeke/Kreis Bückeburg die 1905 geborene Jüdin Elfriede Scheiberg, Tochter von Bernhard und Meta Scheiberg.
1929 entschied Robert Nachmann, sein Geschäft umzustrukturieren. Er wollte vom bisherigen provisionsbasierten Geschäft ohne Lagerhaltung auf ein Lagergeschäft umstellen, was mehr Platz erforderte. Trotz geringer Eigenmittel und hoher Kredite kaufte er ein Haus in der Schmiedestraße 1 in Bielefeld, um dort Lager- und Geschäftsräume einzurichten. Das bis dahin gesunde Unternehmen wurde aufgrund der Umstellung des Geschäftes sowie durch die allgemein schlechte wirtschaftliche Lage unrentabel. Im Mai 1930 musste er Konkurs anmelden, das Haus konnte er nicht mehr halten. Die von ihm gemachte Anzahlung auf den Kaufpreis des Hauses, die ein Drittel der gesamten Konkursmasse ausmachte, bekam er nie vom Verkäufer zurück. Das Konkursverfahren wurde im August 1931 mangels Masse eingestellt.
Im Januar 1931 gründete er in der Theesener Straße 1 erneut ein Rohproduktengeschäft nebst Sortieranstalt, welches seine Ehefrau als Inhaberin übernahm. Robert Nachmann übernahm die Geschäftsführung.
Doch die politische Lage verschlechterte sich weiter, und die Verfolgung gegen Juden nahm zu. Am 20. Juni 1938 wurde er aufgrund seiner jüdischen Abstammung von der Gestapo verhaftet. Sein Konto wurde gesperrt und seine Frau war gezwungen, alle Mitarbeiter zu entlassen, ihr gesamtes Warenlager, zwei Lieferwagen und die Wohnungseinrichtung zu Schleuderpreisen zu verkaufen. Kurze Zeit später zog sie mit ihrem kleinen Sohn Rolf in das sogenannte Judenhaus in der Blumenstraße 18 (heute: Helmholtzstraße), das ihrem Schwiegervater gehörte.
Nach seiner Verhaftung wurde Robert Nachmann am 20. Juni 1938 ins KZ Sachsenhausen verbracht. An den Folgen der dort erlebten Misshandlungen sollte er sein Leben lang leiden. Nach einem halben Jahr, am 17. Dezember 1938, wurde er aus dem KZ entlassen und konnte zu seiner Familie nach Bielefeld zurückkehren – allerdings mit der Auflage, Deutschland zu verlassen.
Nachdem die ursprünglich geplante Auswanderung nach Paraguay scheiterte, bestiegen Robert, Elfriede und Rolf Nachmann im März 1939 in Hamburg ein Schiff nach Shanghai. Zuvor mussten sie Reichsfluchtsteuer sowie eine Judenabgabe zahlen. Die Hälfte der Fahrtkosten übernahm Roberts Vater Max Nachmann. In Shanghai kam die Familie jedoch nur kurz zur Ruhe: Nach dem japanischen Überfall auf China wurde sie im Mai 1943 in das dortige Ghetto eingewiesen.
Schließlich gelang es den Nachmanns, mit Unterstützung durch das American Jewish Joint Distribution Committee, im Juni 1947 in die USA auszuwandern. Sie ließen sich in Philadelphia nieder, wo Robert und Elfriede in verschiedenen Textilunternehmen als Weber arbeiteten.
Robert Nachmann verstarb dort am 1. Januar 1964.
Spur aufgenommen und Recherche
Frauke Bokermann
Geschichtswerkstatt der VHS Bielefeld