Das Haus Det­mol­der Stra­ße 4 wird zum „Ju­den­haus“

Das Haus Metz an der Detmolder Straße 4 (heutiger Standort Kreuzstr. 1), ca. 1915
Das Haus Metz an der Detmolder Straße 4 (heutiger Standort Kreuzstr. 1), ca. 1915. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 11-1916-8.
Das Grundstücksamt forderte auch Paula Metz zur Offenlegung der Wohnungsverhältnisse auf, 1939.
Das Grundstücksamt forderte auch Paula Metz zur Offenlegung der Wohnungsverhältnisse auf, 1939. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 101,5/Geschäftsstelle V, Nr. 551.
Paula Metz stellte die Wohnungsverhältnisse umfänglich dar, 1939.
Paula Metz stellte die Wohnungsverhältnisse umfänglich dar, 1939. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 101,5/Geschäftsstelle V, Nr. 551.
Paula Schaffranke zog am 4. Dezember 1939 mutmaßlich aufgrund einer behördlichen Zuweisung zu.
Rosa Schaffranke zog am 4. Dezember 1939 mutmaßlich aufgrund einer behördlichen Zuweisung zu. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 1278.
Hausverwalter Paul Fleege berichtet über die „Evakuierungen“ und anschließende Unterbringung von „Mischen-Familien“. 1943.
Hausverwalter Paul Fleege berichtet über die „Evakuierungen“ und anschließende Unterbringung von „Mischen-Familien“ 1943. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,10/Amt für Wohnungswesen, Nr. 1490
4. De­zem­ber 1939
Kreuz­stra­ße 1, 33602 Bie­le­feld

Das Haus und sei­ne Ei­gen­tü­mer

1884 lie­ßen der Rechts­an­walt Phil­ipp Metz (1827-1887) und sei­ne Ehe­frau El­vi­ra Metz geb. Metz (1834-1922) das Haus Det­mol­der Stra­ße 4 (heu­ti­ger Stand­ort Kreuz­str. 1/​Ecke Spie­gel­stra­ße) er­bau­en. Das Ehe­paar war 1879 mit sechs Kin­dern von Min­den nach Bie­le­feld ge­zo­gen, dar­un­ter Pau­la Metz (1866-1971) und die spä­te­re Schrift­stel­le­rin Jo­se­fa Metz (1871-1943). Nach Phil­ipp Metz‘ Tod ver­blieb das Haus im Ei­gen­tum der Fa­mi­lie. Mit­te der 1930er-Jah­re gal­ten Ge­schoss­tei­le als un­be­wohn­bar. Die­se und an­de­re Bau­män­gel konn­te die Er­ben­ge­mein­schaft we­gen Fi­nan­zie­rungs­pro­ble­men, die den vom NS-Re­gime ver­füg­ten be­ruf­li­chen Aus­gren­zun­gen seit 1933 zu­zu­schrei­ben wa­ren, nicht be­he­ben.

An­fang März 1939 kehr­te Pau­la Metz von Ber­lin zu­rück. Die Bau­po­li­zei be­dräng­te sie so­gleich, im Dach­ge­schoss lie­gen­de Räu­me zu ver­mie­ten, und er­wog eine Be­schlag­nah­me für die Un­ter­brin­gung ei­ner Fa­mi­lie. Ende März konn­te Pau­la Metz mit­tei­len, dass sie mit „Miet­lus­ti­gen“ in Ver­hand­lun­gen ste­he.

Das „Ju­den­haus“ und sei­ne Be­woh­ner

Am 27. Mai 1939 ver­öf­fent­lich­ten die Bie­le­fel­der Ta­ges­zei­tun­gen eine Be­kannt­ma­chung des Ober­bür­ger­meis­ters Fritz Bud­de (1895-1956) zum „Ge­setz über Miet­ver­hält­nis­se mit Ju­den“ vom 30. April 1939. Bis zum 5. Juni 1939 hat­ten jü­di­sche Haus­ei­gen­tü­mer die je­wei­li­gen Wohn- und Ver­mie­tungs­ver­hält­nis­se an­zu­zei­gen. Pau­la Metz ant­wor­te­te am 3. Juni 1939 um­fäng­lich.

Noch kurz zu­vor, am 28. Mai 1939, als noch ohne be­hörd­li­chen Kon­sens ver­mie­tet wer­den konn­te, wa­ren Git­ta Levy (1870-1942) und ihre Söh­ne Bert­hold (1896-?) und Max (1898-?) von Rhe­da aus ein­ge­zo­gen. Am 22. Juni 1939 folg­ten eben­falls aus Rhe­da die Ehe­leu­te Max (1882-?) und Jo­han­na Gold­schmidt geb. van der Ho­eden (1890-?), de­nen Le­vys ein Zim­mer un­ter­ver­mie­te­ten.

Das städ­ti­sche Grund­stücks­amt wies Pau­la Metz mit ei­nem ein­heit­lich auf den 28. Juni 1939 da­tier­ten For­mu­lar an, nur noch mit Ge­neh­mi­gung und auch nur an Ju­den zu ver­mie­ten. Am 4. De­zem­ber 1939 zog mit Rosa Schaf­fran­ke (1886-1942) eine ers­te Jü­din mut­maß­lich auf­grund be­hörd­li­cher Ein­wei­sung ein. Mit ei­ner sol­chen Zu­wei­sung wur­de das Haus zu ei­nem „Ju­den­haus“. Eine for­mel­le Er­klä­rung dazu fand nicht statt. Noch bis Mai 1942 wohn­ten auch Nicht­ju­den im Haus.

Ab Ja­nu­ar 1941 wur­den, trotz be­kann­ter Bau­män­gel, mehr jü­di­sche Mit­be­woh­ner zu­ge­wie­sen: Im Sep­tem­ber 1941, kurz nach dem Tod von Pau­la Metz, leb­ten dort 29 Jü­din­nen und Ju­den. Von hier aus er­folg­ten die De­por­ta­tio­nen nach Riga, War­schau, The­re­si­en­stadt und Ausch­witz. Nach der Ausch­witz-De­por­ta­ti­on vom 2. März 1943 wur­den dort ab April 1943 be­vor­zugt „Misch­ehe“-Fa­mi­li­en un­ter­ge­bracht, so dass im Mai 1943 ins­ge­samt 20 Per­so­nen dort wohn­ten. Der seit 1942 als Haus­ver­wal­ter nach­weis­ba­re Paul Flee­ge (1896-1945) schrieb am 28. Juli 1943 an die städ­ti­sche Preis­be­hör­de für Mie­ten: „Durch die Verhältnisse gezwungen, ist das Haus seit Jahren an eine Anzahl jüdischer Familien vermietet worden. Nach deren Evakuierung sind seit einiger Zeit Mischehen-Familien untergebracht worden.“ Das NS­DAP-Mit­glied Flee­ge war üb­ri­gens von 1927 bis 1929 und von 1932 bis 1934 Ar­mi­nia-Prä­si­dent ge­we­sen.

Die De­mü­ti­gun­gen er­leb­ten die jü­di­schen Be­woh­ner be­reits di­rekt vor ih­rer Haus­tür, denn 50 Me­ter öst­lich stand spä­tes­tens seit 1937 an der Hal­te­stel­le Land­ge­richt ein „Pres­se­kas­ten“ der NS­DAP-Orts­grup­pe. In die­sem hin­gen auch Aus­ga­ben des an­ti­se­mi­ti­schen Hetz­blatts „Der Stür­mer“ aus.

Beim Haupt­an­griff vom 30. Sep­tem­ber 1944 wur­de das Ge­bäu­de zu mehr als 60 % zer­stört. 1953 folg­te der Ab­bruch.

Die Jü­di­sche Kul­tus­ge­mein­de Bie­le­feld zähl­te das Haus Det­mol­der Stra­ße 4 ge­gen­über dem städ­ti­schen Amt für Wie­der­gut­ma­chung am 5. Ja­nu­ar 1968 zu den frü­he­ren “Ju­den­häu­sern”.

Spur aufgenommen und Recherche
Dr. Jo­chen Rath
Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld

Li­te­ra­tur

  • Adler, Hans Günter, Der verwaltete Mensch, Tübingen 1974, S. 42-47.
  • Meynert, Joachim/ Schäffer, Friedhelm, Die Juden in der Stadt Bielefeld während der Zeit des Nationalsozialismus (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte, Bd. 3), Bielefeld 1983, S. 89-92.
  • Schneider, Hubert, Die Entjudung des Wohnraums – Judenhäuser in Bochum. Die Geschichte der Gebäude und ihrer Bewohner (Schriften des Bochumer Zentrums für Stadtgeschichte, Nr. 4), Berlin 2010.
  • Wagner, Bernd J., Deportationen in Bielefeld und Ostwestfalen 1941-1945, in: Asdonk, Jupp / Buchwald, Dagmar / Havemann, Lutz / Horst, Uwe / Wagner, Bernd J. (Hrsg.), „Es waren doch unsere Nachbarn!“, Deportationen in Ostwestfalen-Lippe 1941-1945 (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte, Bd. 24), Bielefeld 2012, S. 70-127.

Quel­len

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 101,5/Geschäftsstelle V, Nr. 551: Wohnungsangelegenheiten jüdischer Personen, 1939-1942.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 1278: Hausbuch Detmolder Straße 4.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,5/Bauordnungsamt, Hausakten, Nr. 6048: Detmolder Straße 4 (Standort heute: Kreuzstr. 1), Philipp Metz, spätere Eigentümer u. a. Paula Metz und Josefa Metz, 1884-1953.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,10/Amt für Wohnungswesen, Nr. 1490: Detmolder Straße 1-27, 1921-1963 (dort u. a. Mitteilung des Paul Fleege v. 28.7.1943).
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/Amt für Wiedergutmachung, Stadt, C 52: Entschädigung von Freiheitsbeschränkung durch Aufenthalt in sog. Judenhäusern.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr. 6: Westfälische Neueste Nachrichten v. 27.5.1939. URL; Nr. 50: Westfälische Zeitung v. 27.5.1939. URL
Veröffentlicht am und aktualisiert am 9. Dezember 2021

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