Das Bielefelder Ehepaar Anna Auguste Hermine Ortpaul (hier: Anna, in den Akten häufig „Hermine“), geborene Wolter am 9. Februar 1874, und Karl Franz Friedrich Ortpaul, der am 26. September 1871 zur Welt kam, musste mit ihren drei Kindern Walter, Hermine und Karl als „Bibelforscher“ während des Nationalsozialismus vielerlei durchstehen.
Am 24. Dezember 1899 bekam das Ehepaar ihren ersten Sohn, sie benannten ihn nach seinem Vater, Karl. Über den Sohn ist nichts näheres bekannt. Walter, ihr zweiter Sohn, starb nur drei Monate nach seiner Geburt im Jahr 1904. Ihre erste Tochter Hermine Luise Mathilde, die am 22. Mai 1907 zur Welt kam, begleitete und pflegte ihre Eltern bis zu deren Tod.
Karl Ortpaul galt ab 1936 als Arbeitsinvalide und ist aus der Deutschen Arbeitsfront (DAF) ausgeschlossen worden. Seine Ehefrau war bis zur Gefangennahme pflegebedürftig und wurde von der Tochter versorgt.
Die Eltern und Ihre Tochter, die gemeinsam in der Schildescher Straße 88 lebten, waren aktive Mitglieder der Internationalen Bibelforschervereinigung (Zeugen Jehovas), die ihren Glauben auslebten, von dem sie wussten, dass dieser untersagt worden war. Nur der älteste Sohn Karl blieb von einer Anklage verschont, da ihm keine Beteiligung nachgewiesen werden konnte.
Enge Vertraute der Familie vervielfältigten die Glaubenszeitschrift „Der Wachtturm“ und gaben sie an die Ortpauls weiter, die sie anschließend verteilten. Eine Ausgabe lasen sie gemeinschaftlich und verbrannten sie anschließend, damit keine Beweise entstanden. Dennoch bewahrten sie die Wachtturm-Exemplare, die noch nicht verteilt waren, in ihrer Gartenlaube auf. Mehr als 200 Zeitschriften wurden von der Gestapo gefunden und in der Anklageschrift als Beweismittel gegen die drei Familienmitglieder verwendet.
Karl, Anna und Tochter Hermine wurden am 9. Mai 1938 festgenommen und in die Haftanstalt Bielefeld, heute JVA Bielefeld, überführt. Dass die Zeitschriften aufgefunden wurden, lag unter anderem auch daran, dass vier Mitwissende, die alle zu der Zeit bereits in Haft saßen und an der Vervielfältigung beteiligt gewesen waren, gegen die Familie aussagten. Zudem wurde ihnen vorgeworfen, zweien der bereits Verhafteten Unterschlupf und Essen gegeben zu haben. Die Eltern wurden für ein Jahr in Haft gehalten, die Tochter noch für weitere vier Monate.
Dem Ehepaar wurde am 13. Mai 1949 die Arbeitsunfähigkeit beglaubigt, welche nach nur einem Monat wieder revidiert wurde. Sie erhielten vom 1. September 1946 bis 31. Dezember 1947 eine Fürsorgeunterstützung und eine „Abschlagszahlung auf Unfall- und Hinterbliebenenrente für die Opfer der Naziunterdrückung“.
Am 20. Juni 1945 wurde ärztlich festgestellt, dass Anna Ortpaul zwar an einem schwachen Herzen litt, dies aber aufgrund ihres Alters nicht in den Zusammenhang mit der Verfolgung und Inhaftierung zu bringen sei. Deshalb wurde ihr die Rente als Teil der Wiedergutmachung nicht anerkannt. Am 4. März 1951 verstarb Karl Ortpaul im Alter von 80 Jahren. Anna Ortpaul verstarb am 31. Oktober 1955 in Bielefeld.
Hermine Ortpaul wohnte noch bis zum 21. Oktober 1959 in der Schildescher Straße 88, heiratete und nahm den Namen Lümkemann an. Mit ihrem Ehemann zog sie dann nach Bünde-Hünnebrock. Noch am 10. April 1970 stellte sie für sich einen Antrag auf Wiedergutmachung aufgrund der Haft, der schlussendlich anerkannt wurde. Sie erhielt eine einmalige Zahlung von 2.400 DM.
Spur aufgenommen und Recherche
Marvin Gärtner, Veronika Fiterer
Westfalen Kolleg Bielefeld