Die letzte Deportation aus Bielefeld 1945

Briefmarke „Theresienstadt“, stilisierte Darstellung des „Ghettos“ als Teil der nationalsozialistischen Propagandainszenierung. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 95-013-138
Briefmarke „Theresienstadt“, stilisierte Darstellung des „Ghettos“ als Teil der nationalsozialistischen Propagandainszenierung. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 95-013-138
Gebäude Hotel „Stadt Bremen“ in der Bielefelder Bahnhofstraße 32, Ecke Zimmerstraße (rechts), 1967. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 11-0342-139
Gebäude Hotel „Stadt Bremen“ in der Bielefelder Bahnhofstraße 32, Ecke Zimmerstraße (rechts), 1967. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 11-0342-139
13. Februar 1945
Bahnhofstraße 2a, 33602 Bielefeld

Etwa drei Monate vor der Kapitulation und dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa wurden am 13. Februar 1945 17 Jüdinnen und Juden aus Bielefeld (Liste) in das „Altenghetto“ Theresienstadt deportiert. Bei den Opfern handelte es sich überwiegend um Partnerinnen und Partner aus privilegierten „jüdischen Mischehen“ (Jargon der Nationalsozialisten) oder jenen, die zu einer anderen Religion konvertiert waren.

Sie mussten am Bielefelder Hauptbahnhof in den Zug nach Theresienstadt (Transportzug XI/5) steigen, der am selben Tag in Münster mit 58 Personen gestartet war. Wegen der näherkommenden Kriegshandlungen sowie zahlreicher Teilstreckensperrungen und Umleitungen dauerte die Zugfahrt eine Woche. Weitere Zwischenhalte sind in Hildesheim, Halberstadt, Halle an der Saale, Leipzig bekannt, die überlieferte Eingangsliste in Theresienstadt dokumentiert jedoch keine weiteren Zustiege. Die 14-jährige Ruth Margalit aus Münster erinnert sich: „Sieben Tage dauerte es bis nach Theresienstadt, denn es gab Bombardierungen, wir wurden aus dem Zug rausgeholt. […] Uns hat man gesagt, wenn einer fehlt, würde man alle töten. […].“ Der Zug erreichte am 20. Februar 1945 das „Altersghetto“ in Theresienstadt.

Deportationsbefehl und Unterbringung

Schon am 13. Januar 1945 hatte das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) verordnet: „alle Juden und Jüdinnen, die in Mischehen leben und arbeitsfähig sind, […] sind zum Arbeitseinsatz nach Theresienstadt zu schicken.“ Die Gestapo-Außenstelle Bielefeld wies 17 Personen (Liste) an, sich am 12. Februar 1945 im Hotel „Stadt Bremen“ in der Bahnhofstraße einzufinden. Die nachfolgende Anweisung an die Landräte vom 8. Februar 1945 lautete:

Alle im dortigen Bereich [Regierungsbezirk Minden sowie die Fürstentümer Lippe und Schaumburg-Lippe] lebenden staatsangehörigen (DR) und staatenlosen Juden, Jüdinnen und Geltungsjuden sind – ungeachtet z. Zt. bestehender Arbeitsverhältnisse – sofort zum geschlossenen Arbeitseinsatz nach Theresienstadt zu bringen. Ausgenommen sind lediglich alle nicht mehr Transportfähigen. […] Die in Frage kommenden Personen sind bis spätestens Montag, den 12.2.45 nach Bielefeld, Hotel ‚Stadt Bremen‘, Bahnhof- Ecke Zimmerstr., Eingang Zimmerstr., zu überführen. Ausnahmen von dem Arbeitseinsatz sind grundsätzlich nicht zu machen. Gepäck kann im üblichen Umfang mitgenommen werden. Marschverpflegung ist für etwa 8 Tage mitzubringen.

Das Hotel „Stadt Bremen“ diente erstmals als Sammelstelle vor einer Deportation – zuvor wurden die Opfer im „Kyffhäuser“ am Kesselbrink oder im Vereinshaus „Eintracht“ am Klosterplatz zusammengepfercht. Die zuvor genutzten Sammelstellen waren wahrscheinlich beim Luftangriff im September 1944 teilweise oder vollständig zerstört worden. Das Hotel „Stadt Bremen“ befand sich in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof und eignete sich daher als Ersatzsammelstelle.

Deportation der „Privilegierten“?

Auch wenn alle am 13. Februar 1945 deportierten Jüdinnen und Juden die Shoah überlebten, ist ihnen nicht weniger unzivilisiertes Unrecht angetan worden. Sie waren lediglich von den Deportationswellen der „Volljuden“ im Rahmen der „Endlösung der Judenfrage“ zunächst nicht betroffen. Wie alle anderen jüdisch Verfolgten litten auch sie unter den Einschränkungen seit 1933 und den Nürnberger Gesetzen seit 1935.

Kurz bevor der letzte Deportationszug mit „Volljuden“ Bielefeld am 28. Juni 1943 verlies, wurden die als arbeitsfähig geltenden „jüdischen Mischehepartner“ ab dem 17. Juni 1943 in das Arbeitslager Gaststätte „Kaiser“ an der Sudbrackstraße eingewiesen und mussten Zwangsarbeit in umliegenden Betrieben oder in der Region leisten. Ihre systematische Deportation begann in Bielefeld am 19. September 1944. Zu weiterer Zwangsarbeit wurden sie nach Elben und Zeitz in Thüringen deportiert. Am 13. Februar 1945 wurden dann die älteren oder nicht mehr arbeitsfähigen Jüdinnen und Juden sowie jene deportiert, die einige Wochen oder Monate nach ihrer ersten Deportation am 19. September 1944 aufgrund von Verletzungen, Krankheit oder Erschöpfung nach Bielefeld zurückgekehrt waren. Sie wurden ein zweites Mal aus Bielefeld deportiert, entwurzelt und der Vernichtungsmaschinerie zugeführt.

Spur aufgenommen und Recherche
Jan-Willem Waterböhr, M.A.
Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld

Literatur

  • Gottwald, Alfred / Schulle, Diana, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945. Eine kommentierte Chronologie, Wiesbaden 2005
  • Meynert, Joachim / Schäffer, Friedhelm, Die Juden in Bielefeld während der Zeit des Nationalsozialismus (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte, Bd. 3), Bielefeld 1981
  • Minninger, Monika / Meynert, Joachim / Schäffer, Friedhelm (Hrsg.), Antisemitisch Verfolgte registriert in Bielefeld 1933-45. Eine Dokumentation jüdischer Einzelschicksale (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte, Bd. 4), Bielefeld 1985
  • Minninger, Monika / Stüber, Anke / Klussmann, Rita, Einwohner – Bürger – Entrechtete. Sieben Jahrhunderte jüdisches Leben im Raum Bielefeld (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte, Bd. 6), Bielefeld 1988
  • Soll, Karl, Die Initiative des Bielefelder Landrats Ladebeck für überlebende Bielefelder Juden in Theresienstadt 1945, in: Ravensberger Blätter, 1995, Heft 2, S. 56-57. URL
  • Wagner, Bernd J., Deportationen in Bielefeld und Ostwestfalen 1941-1945, in: Asdonk, Jupp / Buchwald, Dagmar / Havemann, Lutz / Horst, Uwe / Wagner, Bernd J. (Hrsg.), „Es waren doch unsere Nachbarn!“ Deportationen in Ostwestfalen-Lippe 1941-1945 (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte, Bd. 24), Bielefeld 2012, S. 70-127

Quellen

  • Adreßbuch der Stadt und des Landkreises Bielefeld, Bielefeld 1940. URL
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 18.: Meldekartei Bielefeld-Mitte, 1920-1958
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,14/Abschlussarbeiten, Nr. 286
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