Carl Severing flüchtet vor bewaffneten SA-Männern

Carl Severing am Schreibtisch, 1952.
Carl Severing am Schreibtisch, 1952. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,003/Fotosammlung, Nr. 61-019-189.
Portrait von Carl Severing, 1925.
Portrait von Carl Severing, 1925. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,003/Fotosammlung, Nr. 61-019-022.
31. Dezember 1933
Lamping Straße 6, 33615 Bielefeld

Die Warnung

In den Herbstwochen des Jahres 1933 hatte Carl Severing sich in sein Privatleben nach Bielefeld zurückgezogen, als ihn die Bitte des Bielefelder Polizeipräsidenten Freiherr von Werder erreichte, dass eines seiner Familienmitglieder ihm einen Besuch abstatten möge. Die Tochter, Emmy Severing, ist mit der Nachricht zurückgekommen, dass er die Stadt Bielefeld in seinem eigenen Interesse für längere Zeit verlassen solle, da einige SA-„Rollkommandos“ in Bewegung seien, um ihn zu töten oder in ein Konzentrationslager zu bringen. Carl Severing nahm die Warnung sehr ernst und verließ Bielefeld daraufhin, um bei Freunden und Bekannten in Berlin unterzukommen.

Die Schreckensnacht

Etwa 15 SA-Männer hatten sich in einer Schankwirtschaft, in der Nacht vom 31. Dezember 1933 auf den 1. Januar 1934, Mut angetrunken und stürmten auf das Wohnhaus der Familie Severing in der Lampingstraße 6 zu. Carl war zu diesem Zeitpunkt schon in Berlin untergekommen, aber seine Frau und seine Kinder waren im Haus.

Von der Straße aus warfen die Männer kräftig mit Steinen, dass Fensterscheiben zu Bruch gingen und die Windfangtür zwei Meter hinter der Haustür beschädigt wurde. Auf der Rückseite wurde das Haus von Revolverschüssen getroffen, die am Mauerwerk abprallten. Die Bewohner riefen schnell die Schutzpolizei, die daraufhin die SA-Männer vertrieb, jedoch keinen zu fassen bekam – die Männer unerkannt blieben.

Kurze Biografie

Carl Severing wurde am 1. Juni 1875 in Herford geboren. Sein Vater war Zigarrensortierer und seine Mutter Näherin. Nachdem Carl die Volksschule abschloss, machte er eine Lehre zum Schlosser.

Er zeigte sich schon früh politisch interessiert und als er 1892 die Lehre abschloss und nach Bielefeld zum Arbeiten zog, trat er erst in den Deutschen Metallarbeiterverein (DMV) und ein Jahr darauf auch in die SPD ein. 1895 beteiligte er sich an einem Streik der Arbeiterbewegung, wurde daher entlassen und fand danach in Bielefeld und Umgebung keine Anstellung mehr. Daraufhin begab er sich auf Wanderschaft und fand in Zürich wieder Anstellung. Dort engagierte er sich erneut in der Arbeiterbewegung und wurde 1897 Mitglied des Zentralvorstandes des Schweizerischen Metallarbeiterverbandes.

Im Jahr 1899 kehrte Carl nach Bielefeld zurück. Von 1905 bis 1924 war er Stadtverordneter der Stadt Bielefeld und von 1907 bis 1911 war er auch Reichstagsabgeordneter. 1919 wurde Carl Severing in die Nationalversammlung und die Preußische Landesversammlung gewählt. Im Jahr 1928 war er Reichsinnenminister im Kabinett Müller und 1930 übernahm er den Postern erneut, auf Wunsch des Ministerpräsidenten Otto Braun.

Nach der „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten zog sich Carl aus der Politik zurück. Er selbst sagt zu der Streichung der Aufwandsentschädigung für ausgewählte SPD-Abgeordnete:

„Die Verfügung des Landtags war praktisch für mich insofern unwirksam, als erstens ja überhaupt nur die Aufwandsentschädigung eines Parlaments in Betracht kamen und weil ich ferner nicht die Absicht hatte, in einer Zeit, in der Parlamente praktisch völlig ausgeschaltet waren, Doppelmandater zu bleiben.“

Nach der Kapitulation 1945 wurde er von den Alliierten mit der Anfertigung einer Liste beauftragt, auf der Personen stehen sollen, die er persönlich für geeignet hielt, eine Führungsposition in der Verwaltung zu übernehmen. Ein Jahr darauf übernahm er selbst den Vorsitz der SPD-Bezirksorganisation Östliches Westfalen und 1947 ließ er in den NRW Landtag wählen.

Carl Severing starb 1952 an einem Gallenleiden in Bielefeld.

Spur aufgenommen und Recherche
Anika Tölke
Landesarchiv NRW – Abteilung Rheinland

Literatur

  • Severing, Carl, „Mein Lebensweg“, Band 2: Im Auf und Ab der Republik, Köln 1950

Quellen

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/Amt für Wiedergutmachung Stadt Nr. A 0192
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 200,27/Nachlass Emil und Maria Gross Nr. 203
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 200,43/Nachlass Friedrich Karl Kühlwein Nr. 4 & 5
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 200,123/Nachlass Carl Schreck Nr. 27
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 250,2/SPD-OWL, Nr. 520
Veröffentlicht am

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