„Die Erinnerung daran war schwer, in diesem Lager hatten wir so viel erleben müssen.“
Wera Didenko, Gefangene im Lager Bethlem, Brief vom 14. November 2004 über ihren Besuch auf dem Johannisberg 2004.
Wera Didenko, im März 1942 aus der Ukraine nach Bielefeld verschleppt, war eine der ersten, die in den auf dem großen Kirmesplatz auf dem Johannisberg errichteten Baracken leben mussten (Eintrag 16. 7. 1942). Mit dem Bauantrag für das neue Lager „Bethlem“ richteten sich die Dürkoppwerke, größtes Rüstungsunternehmen in Bielefeld, auf die Beschäftigung großer Zahlen ausländischer Arbeitskräfte ein. Diese setzte im ersten Halbjahr 1942 überall in NS-Deutschland in der Industrieproduktion ein, nachdem der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion nicht zu dem erwarteten schnellen Sieg geführt hatte. Im Februar 1945 waren 38% der Belegschaft der Dürkoppwerke Ausländerinnen und Ausländer, d. h. fast durchweg Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter.
Wera Didenko und die mit ihr verschleppte Wera Ankudinowa, beide geboren 1925, beschreiben, was zur Erfahrung ganzer Jahrgänge von Jugendlichen wurde:
„Bis zur Abfahrtsstation hat man uns getrieben, (wie Vieh) zu Fuß, obwohl die Strecke ziemlich lang war, in Begleitung von Militär mit Waffen. An der Bahnstation verfrachtete man uns in Waggons (sie wurden Kälberställe genannt), die vollgestopft waren, und fuhr gen Westen.“ (Brief vom 7. 1. 2002)
Im November 1942 wurden dann bereits 612 „Ostarbeiterinnen“ und 42 „Ostarbeiter“ im Lager Bethlem gefangen gehalten, 1943 sprach die Bielefelder „Kriegschronik“ von einer „Barackenstadt“ auf dem Johannisberg. Bethlem war und blieb auch später in erster Linie ein Lager für weibliche Gefangene. Und fast die Hälfte der Frauen im Lager waren ganz jung, Mädchen der Jahrgänge 1924-1929.
Die Akten der Lagerverwaltung sind nicht erhalten. Aber es gibt viele Berichte von ehemaligen Lagergefangenen über ihr Leben als Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter: über die Kennzeichnung mit dem Abzeichen OST, das sie an der Kleidung tragen mussten; über die schwere Arbeit in den Dürkoppwerken, in 12-Stunden-Schichten, bei Tag und bei Nacht; über den ständigen Hunger, die Mangelernährung, über verdorbene Nahrungsmittel; über fehlende Kleidung und Hygieneartikel und die Holzschuhe, die sie tragen mussten.
Das Lager war umzäunt, es gab einen eigenen Bau für die Lagerverwaltung, einen Lagerführer, zwei Wachmänner (einer hatte bei den Lagergefangenen den Spitznamen „Raus“), es gab regelmäßige Kontrollbesuche durch die Gestapo. Kontakte mit der deutschen Bevölkerung waren verboten, sofern sie nicht, wie etwa bei der Arbeit, unumgänglich waren.
Zugleich war das Lager in besonderer Weise öffentlich. Es lag an einem der prominentesten Orte der Stadt: „So führten die deutschen Frauen am Sonntage ihre Enkelkinder zur Schau der einäugigen Wilden.“ (Anna Prozenko, Brief vom 20. 5. 2003) Und der Weg zur Arbeit führte Hunderte von Dürkopp-Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern der Tag- und der Nachtschicht vorbei an den Villen der Dornberger Straße, durch die Innenstadt, ins Dürkopp-Viertel.
Vermutlich etwa seit März 1943 kamen auch Menschen aus anderen Ländern zwangsweise ins Lager, so aus Belgien, Frankreich, den Niederlanden, dann auch Italien. Im Gegensatz zu den Ländern im Osten waren es fast ausschließlich Männer. Sie waren auch einem Lagerregime unterworfen, mussten aber keine Kennzeichnung tragen und es gab für ihre Ernährung und Behandlung andere Vorschriften als für die in der rassistischen NS-Ideologie weit untenstehenden „Ostarbeiter“ und „Ostarbeiterinnen“. Ein ungefähres Bild von der Zusammensetzung der im größten Zwangsarbeitslager der Stadt Festgehaltenen gibt die beigefügte Statistik.
Am 26. Oktober 1944 brannten in Folge eines Luftangriffs die Holzbaracken des Lagers ab, nur eine Baracke in „Massivbauweise“ blieb stehen und wurde anscheinend als kleines Lager weiter betrieben. Die Menschen aus den zerstörten Baracken wurden in andere Lager verbracht.
Die Reste der Lagerbauten auf dem Platz wurden in den Nachkriegsjahren beseitigt. Jahrzehntelang stand eine weite freie Fläche für eine Leerstelle im kollektiven Gedächtnis der Stadt. Erst im Jahr 1989 wurde, abseits des ehemaligen Lagergeländes, ein Gedenkstein als Zeichen der Erinnerung an das Lager errichtet, im Jahr 2010 dann auf dem Lagergelände die Landschaftsskulptur ‚Unter Zwang‘ und ein Bodendenkmal, das den Grundriss einer der Lagerbaracken nachzeichnet.
Zwei Briefe ehemaliger Lagergefangener finden Sie hier:
Spur aufgenommen und Recherche
Wolfgang Herzog
Arbeitskreis „Zwangsarbeit in Bielefeld“