Wenn Worte zum Verhängnis werden – Wilhelm Hünerhoff im Visier der Gestapo Bielefeld

Verwaltungsgebäude der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) in Bielefeld in der Oelmühlenstr. 57-59, Frontalansicht 1928, Fotograf: Lampel.
Verwaltungsgebäude der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) in Bielefeld in der Oelmühlenstr. 57-59, Frontalansicht 1928, Fotograf: Lampel. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,003/Fotosammlung, Nr. 11-1561-021
Meldekarte von Wilhelm Hünerhoff.
Meldekarte von Wilhelm Hünerhoff. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 18.: Meldekartei Bielefeld-Mitte, 1920-1958.
Häftlinge des KZ Neuengamme bei Aufräumarbeiten und auf der Suche nach Blindgängern im Sperrgebiet Hammerbrook, vermutlich August 1943.
Häftlinge des KZ Neuengamme bei Aufräumarbeiten und auf der Suche nach Blindgängern im Sperrgebiet Hammerbrook, vermutlich August 1943. Staatsarchiv Hamburg, 731-6/I_18_A1, Blatt 27 (oben). URL
Häftlinge des KZ Neuengamme bei der Leichenbergung.
Häftlinge des KZ Neuengamme bei der Leichenbergung. Staatsarchiv Hamburg, Zeitgeschichtliche Sammlung, 731-06, I 18 E, Blatt 1, 1943 (ANg 1983-2681). URL
8. März 1944
Oelmühlenstraße 57-59, 33604 Bielefeld

Biographie und Herkunft

Wilhelm Hünerhoff wurde am 6. Juni 1889 in Bielefeld geboren. Er stammt aus einer christlich geprägten Bauernfamilie und genoss eine bodenständige und fromme Erziehung bürgerlicher Prägung. Die Nähe zur pietistischen Erweckungsbewegung nach Johann Heinrich Volkening wurde sein Leben lang ein moralischer Kompass für Gerechtigkeit. 1914 trat Hünerhoff als Angestellter in die AOK ein und wurde bis 1930 zum Verwaltungsoberinspektor befördert. Dort arbeitete er etwa 30 Jahre bis zu seiner Verhaftung 1944.

1919 heiratete er Auguste Schmidt – vier Kinder gingen aus der Ehe hervor.

Konflikte mit der Gestapo und dem NS-Regime

Obwohl Wilhelm Hünerhoff zunächst kein Kritiker der neuen Machthaber war und den Staat als Garanten des Rechts sah, nahm er zunehmend wahr, dass die Sozialpolitik der Nationalsozialisten (z.B. die Versorgung von Kriegsopfern des Ersten Weltkriegs) weder den Versprechungen, noch seinen Vorstellungen entsprach. So wurde 1934 die Gestapo zum ersten Mal auf den bisher unauffälligen Wilhelm Hünerhoff aufmerksam, als er sich über das Chaos bei der AOK beschwerte, welches ausbrach, als Kollegen auf Grundlage des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen wurden. In den Folgejahren wurde er selbst mehrfach aufgrund des Heimtückegesetzes denunziert und verhaftet. Nach den Verhören durch die Gestapo kam er zunächst immer wieder frei.

Als gläubiger Protestant der Bielefelder Petrigemeinde gehörte er der Bekennenden Kirche an. Dort setzte er sich auch für einen jungen Pfarrer ein, der die Stadt nach einem heftigen Streit mit den „Deutschen Christen“ verlassen musste. Das brachte ihm eine Hausdurchsuchung der Gestapo ein – wieder ohne Ergebnis.

Schlussendlich wurde er im April 1944 von der Gestapo verhaftet. Der Vorsitzende der AOK Bielefeld Pieper ließ ihn schon am 8. Mai 1944 wissen:

Infolge der über 4 Wochen andauernden Inhaftierung muß ich annehmen, dass gegen Sie so erhebliche Beanstandungen vorliegen, daß mit einer Dienstentlassung zu rechnen ist.

Es folgte die vorläufige Dienstenthebung und zur Reduktion der Dienstbezüge auf das Minimum des Ermessensspielraums.

Inhaftierung und Tod

Im Büro des AOK-Abteilungsleiters Wilhelm Hünerhoff läutete am 8. März 1944 das Telefon. Hünerhoff bekam eine Vorladung zu einem Luftschutzlehrgang in der Bielefelder Innenstadt am 21. März 1944. Die Gestapo forderte ihn auf, in der Amtsstelle am Siekerwall 9 zu erscheinen. Zu dem Zeitpunkt war er bereits als Luftschutzbeauftragter in seinem Wohnbezirk in der Finkenstraße tätig, erklärte er dem Lehrgangsleiter, einem „SA-Sturmbannführer“: Des Weiteren arbeite er ehrenamtlich in der Kirche, habe in seiner Nachbarschaft ausgeholfen und seiner Mutter auf dem Feld Hilfe geleistet. Eine Woche später erschien er zu einem zweiten Lehrgang ebenfalls nicht, weshalb der Lehrgangsleiter der SA eine Meldung an seinen Vorgesetzten machte, der diese an die Gestapo weiterleitete. Hünerhoff erschien schließlich nach einer dritten Vorladung zu einem Lehrgang am 4. April 1944.

Doch inzwischen war die Repressionsmaschinerie in Gang gesetzt: Mit dem Telefonanruf der Gestapo wurde Wilhelm Hünerhoff Opfer der Willkürbürokratie. Er wurde verhaftet und kam zunächst in das Untersuchungsgefängnis Turnerstraße, wo er sieben Wochen in sogenannter „Schutzhaft“ saß. Später wurde er in das KZ Neuengamme (am Stadtrand von Hamburg) überführt.

Nach den ersten Luftangriffen setzte die Stadt Hamburg verstärkt KZ-Häftlinge für Aufräumarbeiten ein. Diese endeten für Wilhelm Hünerhoff tödlich: Er starb bei der Explosion eines Blindgängers. Seine Frau Auguste erfuhr sechs Monate nach dem ersten Telefonanruf der Gestapo am 8. März von dem Tod ihres Ehemannes im KZ Neuengamme, der aufgrund seiner Kritik wiederholt in Konflikt mit der Gestapo gekommen war und schlussendlich in der Vernichtungsmaschinerie des NS-Regimes ermordet wurde.

Nachkriegszeit und Erinnerung

Nach dem Zweiten Weltkrieg galt Wilhelm Hünerhoff auch bei seinen Denunzianten als geachteter Mitbürger. Selbst der Leiter der AOK Pieper schrieb:

„Wir werden ihm allzeit ein ehrendes Gedenken bewahren. […] Er war einer unserer Besten.“

Versuche der Familie, die vorsätzliche Inhaftierung juristisch aufzuarbeiten, misslangen. Als Hinterbliebene erhielt die Witwe Auguste Entschädigungen aus dem Wiedergutmachungsverfahren. Für Wilhelm Hünerhoff wurde am 30. Oktober 2006 in der Finkenstraße ein Stolperstein verlegt.

Spur aufgenommen und Recherchen
Tim Peters, Aykan Topbac
Rudolf Rempel Berufskolleg

Literatur

Quellen

  • Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen (1934): Dokumentenarchiv.de. URL
  • Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums: Dokumentenarchiv.de. URL
Veröffentlicht am

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