Hugo Speyer – Bielefelder Unternehmer, engagierter Wirtschaftsbürger und Vorstandsmitglied der jüdischen Gemeinde

Der Hilfeaufruf des Rabbiners Kronheim zur Rettung der Speyers blieb vergeblich.
Der Hilfeaufruf des Rabbiners Kronheim zur Rettung der Speyers blieb vergeblich. Quelle: Leo-Baeck-Institute, New York.
Briefkopf der Firma Junkermann & Speyer 1937.
Briefkopf der Firma Junkermann & Speyer 1937. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,2/Briefköpfe, Nr. 1661
Letzte Erwähnung von Hugo Speyer als gewähltes IHK-Mitglied in der Lokalpresse 1932.
Letzte Erwähnung von Hugo Speyer als gewähltes IHK-Mitglied in der Lokalpresse 1932. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr. 50: Westfälische Zeitung vom 19. Februar 1932. URL
11. Oktober 1942
Richard-Wagner-Straße 14, 33602 Bielefeld

(Un-)Sichtbare Opfer

Wie umfassend die Vernichtung der Existenz von Juden im Nationalsozialismus gewesen ist, fällt an Personen auf, die einst öffentlich sichtbar waren, deren Andenken dennoch erst durch viele Mosaiksteine wieder Kontur gewinnen muss. Hugo Speyer zählt zu diesen Personen. Er war ein äußerst engagierter, öffentlich sichtbarer Bielefelder Wirtschaftsbürger, bis er als Jude seine Engagements nicht fortsetzen konnte, seines Besitzes und schließlich, am 11. Oktober 1942, seines Lebens beraubt wurde.

Sohn einer Kaufmannsfamilie

Geboren wurde Hugo Speyer am 27. Juni 1870 als ältester Sohn in eine Kaufmannsfamilie. Sein Vater, Leser Speyer, hatte kurz zuvor die Arbeiter- und Herrenkleiderfirma „Junkermann & Speyer“ in Bielefeld gegründet, an der Louis Junkermann nur kurze Zeit beteiligt war. Über Hugos Jahre der Ausbildung ist nichts genaues bekannt. Sicher ist, dass er und sein etwas jüngerer Bruder Siegfried Anfang des 20. Jahrhundert zunächst als „Reisende“ die Produkte des Familienunternehmens im Außendienst vertrieben. 1908 wurden beide dann formelle Teilhaber. Zwei Jahre später ging Hugo Speyer die Ehe mit Margarete („Grete“) Stiebel aus Eisenach ein, die kinderlos blieb. Nach dem Tod des Seniors 1914 steuerten die Brüder aber die zur mechanischen Kleiderfabrik avancierte Firma erfolgreich durch die turbulenten Kriegsjahre sowie die wirtschaftlichen und politischen Krisen der Weimarer Republik.

Kein gewöhnlicher Unternehmer

Hugo Speyer war nicht nur Unternehmer im engeren Sinne der Leitung eines Unternehmens. Er übernahm als Wirtschaftsbürger auch zahlreiche Aufgaben in lokalen Institutionen:

  • Seit 1922 war er für mindestens zehn Jahre Vorsitzender des Vereins der Fabrikanten der Bekleidungsbranche in Herford, Bielefeld und angrenzenden Bezirken e.V.
  • Zeitweise war er auch Vorstands- und Ausschussmitglied im Verband Deutscher Kleiderfabrikanten e.V., Berlin.
  • Von 1924 bis April 1934 war er mehrfach wiedergewählter Vertreter der Gruppe Industrie in der Industrie- und Handelskammer zu Bielefeld. Er engagierte sich im sozialpolitischen Ausschuss sowie im Steuerausschuss.
  • 1920 wurde er als Beisitzer in das Gewerbegericht der Stadt Bielefeld gewählt.
  • 1924 war er überdies Geschworener beim Schwurgericht Bielefeld.

Auch in jüdischen Institutionen war Hugo Speyer engagiert:

  • Vor 1926 war Hugo Speyer bereits Präsident und Mentor der Westfalia-Loge, einem zum jüdischen B’nai-B’rith-Orden gehörenden sozialen Netzwerk von Fabrikanten, Kaufleuten, Ärzten, Anwälten etc.
  • Am 17. Januar 1933, also kurz vor der „Machtergreifung“, wurde Hugo Speyer zum Vorstandsmitglied der Jüdischen Kultusgemeinde gewählt. Als Willy Katzenstein, der langjährige Vorsitzende, 1939 emigrierte, rückte Hugo Speyer zum Vorsitzenden auf.

„Arisierung“ der Firma, Ausreisebemühen und Deportation nach Theresienstadt

Das Unternehmen „Junkermann & Speyer“ musste 1938 verkauft werden, ein halbes Jahr nach dem Tod von Siegfried Speyer. Die Lokalpresse feierte diesen Verkauf an Erwin Tschach als „Arisierung“.

Hugo und Grete Speyer haben sich bis 1941 um Ausreise aus Nazideutschland bemüht. Ihre Bemühungen blieben am Ende vergeblich. Am 31. Juli 1942 wurde das Ehepaar nach Theresienstadt deportiert. Eine Postkarte, geschrieben von Bekannten, erwähnt das Ehepaar noch zwei Wochen vorher:

Wir treten wahrscheinlich Anfang bis Mitte August die große Reise nach Theresienstadt an. Hoffentlich überstehen wir alles gut und sehen und danach gesund wieder. Wir bleiben alle zusammen. Hugo Sp. und Frau und auch andere Bekannte werden ebenfalls mitmachen. Den genauen Zeitpunkt wissen wir noch nicht.“ (Wagner 2012, S. 96 f.)

Hugo Speyer kam vier Monate nach Ankunft in Theresienstadt ums Leben. Seine Frau Grete wurde im Januar 1943 weiter nach Ausschwitz deportiert und dort ermordet. Auch die Autoren der Postkarte, Leonhard und Else Kamp, starben in Theresienstadt bzw. in Auschwitz.

Spur aufgenommen und Recherche
Veronika Tacke

Literatur

  • Minninger, Monika / Meynert, Joachim / Schäffer, Friedhelm (Hrsg.), Antisemitisch Verfolgte registriert in Bielefeld 1933-45. Eine Dokumentation jüdischer Einzelschicksale (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 4) Bielefeld 1985.
  • Sauerland, J., Die Firma Junkermann & Speyer, in: Das Buch der Stadt, hergegeben vom Magistrat der Stadt Bielefeld, Bielefeld 1926, S. 441.
  • Wagner, Bernd J., Deportationen in Bielefeld und Ostwestfalen 1941-1945, in: Asdonk, Jupp / Buchwald, Dagmar / Havemann, Lutz / Horst, Uwe / Wagner, Bernd J. (Hrsg.), „Es waren doch unsere Nachbarn!“, Deportationen in Ostwestfalen-Lippe 1941-1945 (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 24), Bielefeld 2012, S. 70-127

Quellen

  • Leo-Baeck-Institut New York, Hans Kronheim Collection/Series II: Correspondence 1917-1958/ Bielefeld 1939-1958, Box 1, Folder 6, p. 44
  • Minninger, Monika (Hrsg.), Aus einer Hochburg des Reformjudentums. Quellensammlung zum Bielefelder Judentum des 19. und 20. Jahrhunderts (Sonderveröffentlichung des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg, 11), Bielefeld 2006, Nr. 49.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 1374: Hausbuch Herforder Str. 56
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 1525: Hausbuch: Richard-Wagner-Str. 14
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 1604: Hausbuch Viktoriastr. 29.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,003/Amt für Wiedergutmachung, Nr. B 190
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,2/Briefköpfe, Nr. 1661
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr. 5. URL
  • Stiftung Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund, Bestand K3/Industrie- und Handelskammer zu Bielefeld –  Mitglieder und Protokolle Vollversammlung
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