In Zusammenhang mit der breiten gesellschaftlichen Diskussion um eine „Entschädigung“ ehemaliger Zwangsarbeiter*innen haben sich in Bielefeld die gewerkschaftliche Initiative DGB-Arbeitskreis „Zwangsarbeit in Bielefeld“ (im Jahr 2000) und ein örtlicher Ableger des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“(2002) gebildet und arbeiten seitdem im Arbeitskreis „Zwangsarbeit in Bielefeld“ eng zusammen.
Schon bald gelang es dem Arbeitskreis, mit ehemaligen Zwangsarbeiter*innen in Kontakt zu kommen, die während des Krieges aus der damaligen Sowjetunion nach Bielefeld verschleppt worden waren. Die Verbindung mit ihnen, später auch mit ehemaligen Zwangsarbeiterinnen aus Polen, hat seitdem unsere Arbeit geprägt.
Ein wichtiger Schritt war es, als 2004 auf Einladung der Stadt eine große Gruppe ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter für eine Woche nach Bielefeld kam. Eine Woche mit einer Fülle von tief beeindruckenden persönlichen Begegnungen. Bielefelderinnen und Bielefelder aus ganz verschiedenen Bereichen, die engagiert beteiligt waren. Für die Besucher*innen eine erneute Begegnung mit den Orten ihrer Zwangsarbeit unter ganz anderem Vorzeichen, geehrt und herzlich willkommen geheißen. Weitere Besuche folgten. Mehrfach gab es Besuche aus Bielefeld in umgekehrter Richtung. Und in regelmäßigen Rundbriefen informieren wir die mit uns verbundenen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter über Aktivitäten hier in Bielefeld.
Hunderte von Briefen und Berichten, Fotos und Dokumenten haben wir von ihnen inzwischen erhalten, sehr persönliche Zeugnisse über das Leben als Zwangsarbeiterin, als Zwangsarbeiter in Bielefeld, über das weitere Leben nach der Heimkehr, eine Vielfalt von Erfahrungen und Sichtweisen. Diese Fülle von Zeugnissen, die uns anvertraut wurden, ist auch für die Zukunft, wenn die Zeitzeug*innen nicht mehr unmittelbar sprechen können, von besonderer Bedeutung. Denn mittlerweile sind sehr viele von denen, die wir kennengelernt haben, verstorben oder können wegen ihres hohen Alters den Kontakt nicht aufrecht erhalten. Zum Glück besteht in einigen Fällen durch Familienangehörige, Kinder, Enkelkinder die Verbindung fort.
Der Park- und Festplatz auf dem Johannisberg ist seit dem Jahr 2010 in besonderer Weise zu einem Ort der Erinnerung an die NS-Zwangsarbeit in Bielefeld geworden. Neben dem Gedenkstein aus dem Jahr 1989 erinnern hier die Landschaftsskulptur ‚Unter Zwang‘ der Künstlerin Susanne Albrecht und der in Cortenstahl nachgezeichnete Grundriss einer Lagerbaracke an das große Zwangsarbeitslager Bethlem der Dürkoppwerke. Es wäre gut, wenn weitere Zeichen der Erinnerung an anderen Stellen folgten.
Der Aufbau der Verbindungen zu den ehemaligen Zwangsarbeiter*innen, die Besuche, die Sammlung ihrer Zeugnisse, die Skulptur ‚Unter Zwang‘, all das war nur möglich durch breiteste Beteiligung von Bielefelderinnen und Bielefeldern, auch von Institutionen – und insbesondere auch durch so viele, die als Übersetzerinnen und Übersetzer die notwendige Verständigung überhaupt erst möglich machten.
Gerne geben wir weiter, was uns zur Verfügung gestellt wurde, durch Führungen (in der Stadt, auf dem Johannisberg, in Brackwede …), bei Unterrichtsbesuchen in Schulen, bei Lesungen und Veranstaltungen in Vereinen, mittels unserer Wanderausstellung … Sprecht uns, sprechen Sie uns an.
Zu den verschiedenen ‚Produkten‘ unserer Arbeit siehe:
» … ein Teil meiner Seele ist in Brackwede«. Briefe ehemaliger Zwangsarbeiterinnen in Bielefeld und Brackwede, Herausgegeben von Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V., Sektion Bielefeld, 2003
Unterrichtsmaterial zum Thema "Zwangsarbeit in Bielefeld zur Zeit des Nationalsozialismus", Von Uwe Horst und Hans-Georg Pütz, Kopie Zusammengestellt begleitend zum Besuch 2004
Das Zwangsarbeiterlager Bethlem auf dem Johannisberg. Zur Geschichte des Lagers und seiner Bewohnerinnen und Bewohner, Wolfgang Herzog, Sonderdruck aus Ravensberger Blätter, H. 1, 2010, 24 S., 7 Abb.
Susanne Albrecht, „Zwangsläufig“, Faltbuch in limitierter Auflage zur Landschaftsskulptur „Unter Zwang“, Von der Künstlerin signiert
IRENA WIELGAT. ALS KIND VERSKLAVT, Aus Lódz verschleppt nach Bielefeld – Erinnerungen an die Jahre der Zwangsarbeit in Deutschland, Zweisprachig Polnisch-Deutsch, Herausgegeben von Wolfgang Herzog und Merret Wohlrab, Bielefeld-Rzeszów 2017, 288 S., 70 Abb., ISBN 978-3-7395-1005-7
Oksana Melnitschuk, Bielefeld – Chmelnizky. Skizzen. Besuch bei Zwangsarbeiterinnen des Dritten Reiches 60 Jahre später. Russisch-deutsch, mit einer DVD über diese Reise, 2004. Entstanden als Diplomarbeit bei Prof. Jochen Geilen im FB Gestaltung der Fachhochschule Bielefeld
Begegnungen und Emotionen [60 Jahre danach]. Der Besuch ehemaliger Zwangsarbeiter in Bielefeld, Herausgegeben durch die Stadt Bielefeld in Zusammenarbeit mit ‚Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V.‘ Deutsch-russisch, mit vielen Abbildungen, 2005, Dokumentation des Besuchs 2004
Späte Versöhnung. Eine Begegnung mit ehemaligen Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen, Dokumentarfilm über eine Reise in die Ukraine von Michael Thamm, Tanja Schuh und Henning Poltrock, DVD 2004
Erinnern und Begegnen. Ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter besuchen Bielefeld nach 60 Jahren, DVD, russisch und deutsch, Dokumentarfilm über den Besuch 2004, Bielefeld 2006
Tanz-Performance///Unter Zwang, DVD; deutsche, russische und polnische Fassung, Zu 800 Jahre Bielefeld 2014, zusammen mit der Theaterwerkstatt Bethel
LIEDER AUS ZEITEN DER GEFANGENSCHAFT. IRENA WIELGAT, DVD, Polnisch mit dt. Untertiteln, Herausgegeben von Bogdan und Joanna Wielgat, Warszawa 2017/18, Filmaufzeichnung mit Liedern der polnischen Zwangsarbeiterinnen der Spinnerei Vorwärts, gesungen von Irena Wielgat
Ausstellung: Unter Zwang. ZwangsarbeiterInnen auf dem Bielefelder Johannisberg – verschleppt für die deutsche Kriegswirtschaft, März bis Juli 2015 gezeigt im Bauernhausmuseum Bielefeld.
Ausleihbar! Siehe: www.ausstellung-unter-zwang-bielefeld.de