Die kleine Familie Paul, Berta („Betty“) und Ingeborg Rosenthal lebte gemeinsam in der Niedernstraße 26 in Bielefeld. Paul Rosenthal wurde am 26. März 1884 in Deutsch Krone (ehemalige Provinz Pommern, heute Polen) geboren. Er war Kaufmann und betrieb eine Großhandlung für Webwaren in Bielefeld.
Seine Frau Berta Rosenthal geb. Stein ist in der Meldekartei der Stadt Bielefeld zwar als Betty verzeichnet, auf der Geburtsurkunde ihrer Tochter aber mit dem Namen Berta eingetragen. Sie wurde am 4. Dezember 1888 in Löbau im heutigen Sachsen geboren. Am 19. September 1921 kam die Tochter Ingeborg in Bielefeld zur Welt. Eigentlich wollte Ingeborg Säuglingsschwester werden. Als Jüdin konnte sie aber ab 1936 die Auguste-Viktoria-Schule nicht mehr besuchen. Die folgenden Jahre machten es ihr unmöglich, diese Ausbildung zu erwerben.
Aufgrund des Boykotts jüdischer Geschäfte ging das Gewerbe von Paul Rosenthal zu Grunde. Nach der Pogromnacht am 9. November 1938 wurde Paul Rosenthal die Existenzgrundlage entzogen und er musste am 1. Dezember 1938 sein Geschäft abmelden. Am 3. November 1939 musste die Familie in ein sogenanntes „Judenhaus“ in die Wiesenstraße 13 umziehen. Schließlich wurde die Familie am 13. Dezember 1941 ein Opfer der NS-Vernichtungsmaschinerie, als sie aus Bielefeld nach Riga deportiert.
Im dortigen Ghetto herrschte große Lebensmittelknappheit. Versuche, durch Tauschgeschäfte an Nahrung zu kommen, wurden mit dem Tod bestraft; so auch in Paul Rosenthals Fall. Sein Todestag ist für den 18. März 1942 überliefert.
Berta Rosenthal starb am 28. Juli 1944. Einzig ihre Tochter Ingeborg überlebte die Gewalt. Sie gilt als einzige Überlebende der insgesamt 15-köpfigen Familie Rosenthal. Im Wiedergutmachungsverfahren gab sie an, dass sie bis zum Tod ihres Vaters an dessen Seite war. Die Trennung von ihrer Mutter beschrieb sie später wie folgt:
„Am 28. Juli 1944 mußten plötzlich alle Lagerinsassen heraustreten. Wir mußten uns völlig entkleiden und wurden dann von einem gewissen Dr. K. in zwei Gruppen eingeteilt. Ich gehörte zu der einen Gruppe, meine Mutter zu der anderen, die abtransportiert wurde. Ich habe meine Mutter nie wiedergesehen. Wie ich später erfuhr, wurde meine Mutter noch am selben Abend nach dem Kaiserwald gebracht. Wohin sie von dort zu ihrer Ermordung gebracht wurde, konnte ich jedoch nie erfahren.“ (Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/Amt für Wiedergutmachung, Nr. B 56)
Bleibende Schäden an den Füßen behielt sie von einem viertägigen Fußmarsch von Hamburg nach Kiel. Sie floh nach Schweden und wanderte später unter ihren Ehenamen als Inge Friedemann in Cincinnati, Ohio (USA). Nach Kriegsende stellte sie Wiedergutmachungsanträge für ihre Eltern und ca. acht weitere Tanten und Onkel gemäß BEG (Bundesentschädigungsgesetz).
Spur aufgenommen und Recherche
Saskia David-Gaubatz (Erstversion (pdf))
Landesarchiv Nordrhein Westfalen – Abteilung OWL
Weitere Recherchen
Johanna Becker
Universität Bielefeld