Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938: Brand der Synagoge in Bielefeld

Die brennende Synagoge an der Turnerstraße. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 14-902-41
Innenansicht der 1905 eingeweihten Synagoge, mit Orgel. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 14-902-9
9. November 1938
Turnerstraße 5, 33602 Bielefeld

Die neue Synagoge an der Turnerstraße wurde am 5. Oktober 1905 für die gewachsene jüdische Gemeinde in einem feierlichen Akt, im Beisein vieler städtischer und auswärtiger Honoratioren und Gäste eingeweiht.

Bereits 33 Jahre später, in der sog. „Reichskristallnacht“ vom 9. auf den 10. November 1938 wurde die Bielefelder Synagoge, wie so viele in Deutschland, ein Opfer der Flammen. Zahlreiche religiöse Kultgegenstände wurden zerstört. Die Zerstörung der Bielefelder Synagoge bedeutete einen tiefen Einschnitt für Bielefeld, in der jüdisches Leben eine lange Tradition hatte. Es folgten Verhaftungen und Deportationen.

Auslöser dieses Pogroms war die NSDAP, in Folge der Ermordung des Legationssekretärs Ernst vom Rath in Paris am 7. November 1938 durch den 17-jährigen Juden Herschel Grynszpan. Joseph Goebbels ließ daraufhin einen Tag später im Völkischen Beobachter verbreiten, dass das Deutsche Volk diese „feige“ Tat nicht länger hinnehmen und diese daher ahnden würde.

Während eines Essens am 9. November 1938 im Münchner Rathaus wurde Adolf Hitler von Joseph Goebbels über die Vorgänge der vergangenen Tage informiert und entschied: „Die Demonstrationen weiterlaufen lassen. Polizei zurückziehen. Die Juden sollen einmal den Volkszorn zu spüren bekommen“. Goebbels gab daraufhin den Befehl an alle subalternen Behörden im Reich aus, alle jüdischen Geschäfte zu zerstören und die Synagogen in Brand zu setzen. Nur arisches Eigentum sei zu schützen.

Die vermutlichen Brandstifter müssen zuvor erkundet haben, wie und wo am besten die Kuppel in Brand zu setzen sei. Anschließend habe man von der Feuerwehr Brechwerkzeuge angefordert.

Am 9. November 1938 verschafften sich in den späten Abendstunden die Täter Zutritt zur Synagoge, einige der später Beschuldigten Personen in schwarzen Uniformen – es waren wohl stadtbekannte SA/SS-Männer. Da die Kuppel der Synagoge nicht richtig brennen wollte, sind mehrere Personen zwischen 21 Uhr und 22 Uhr von innen in die Kuppel heraufgestiegen und haben mit einem chemischen Brandmittel dem Brand nachgeholfen.

Der Brand der Synagoge wurde am 10. November 1938 um 04:49 Uhr der nah am Kesselbrink gelegenen Feuerlöschpolizei gemeldet. Die Freiwillige Feuerwehr wurde um 05:12 Uhr alarmiert und rückte Minuten später aus. Der Brandbericht 53 beinhaltet keine Ankunftszeit an der Brandstelle. Im Brandbericht wird lediglich darauf hingewiesen, dass „die Synagoge mit angrenzendem Wohn- und Verwaltungsgebäude in ganzer Ausdehnung“ brennen würde. Die Synagoge brannte bis auf die Grundmauern nieder. Die Feuerwehrmänner, die mit dem Löschzug eintrafen, erhielten wohl aber nur den Befehl, nicht zu löschen, sondern nur die Nachbaranwesen zu schützen.

Die Brandstelle wurde von SA-Männern und Polizeikräften abgesperrt, da immer mehr Schaulustige zur brennenden Synagoge eilten. Die Kinder erhielten infolge dieses Ereignisses z.T. schulfrei. Im Brandbericht 53 der Feuerwehr vom 10. November 1938 heißt es: „Die Entstehungsart und Gutachten über polizeiliche Verfügungen“… konnte nicht ermittelt werden. Auch gegen Unbekannt wurden keine Ermittlungen eingeleitet. Obgleich einige Zeugen aussagten, sie hätten schwarz gekleidete Männer vor dem Brand in der Nähe gesehen.

Der Bielefelder Stadtanzeiger druckte am 11. November 1938 einen kurzen Artikel mit der Überschrift: „Antwort an das Judenpack. Der Judentempel brannte aus“.

In den 1949 durchgeführten Ermittlungen gegen 19 Beschuldigte mit zahlreichen Zeugenaussagen konnte keinem der Beschuldigten eine Beteiligung an der Brandstiftung nachgewiesen werden, zumal sich zahlreiche Zeugenaussagen stark widersprachen. Keiner der Beschuldigten wurde zur Verantwortung gezogen.

Spur aufgenommen und Recherche
Ingrid und Johannes Helfmann

Literatur

  • Brakelmann, Günter, Evangelische Kirche und Judenverfolgung. Drei Einblicke, Waltrop 2001.
  • Goebbels, Joseph, Tagebücher 1924–1945. Band 3: 1935–1939. Hrsg. v. Reuth, München 1999, S. 1281, zitiert bei Angela Hermann: Hitler und sein Stoßtrupp in der „Reichskristallnacht“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 56,4 (2008), S. 603–620.
  • Osterloh, Jörg, Nationalsozialistische Judenverfolgung im Reichsgau Sudetenland 1938-1945. Oldenbourg 2006. URL
  • Van Dam, H. Georg, Der Anfang vom Ende, in: Jüdischen Nachrichten, 14.11.1958. URL

Quellen

  • Landesarchiv NRW Abteilung Ostwestfalen-Lippe: Schreiben des Oberstaatsanwalts, Az.: 5 Ja 147/47; Bielefeld, 5. Dezember 1949.
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen: Westfälische Zeitung v. 11. November 1938. URL
Veröffentlicht am und aktualisiert am 25. Januar 2022

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