Franz Neukamp, geboren am 31. August 1889, ist ein Beispiel dafür, wie schwierig die Aufarbeitung von Verfolgung und schuld nach dem Zweiten Weltkrieg war. Er war der Sohn von Dr. Ernst Neukamp, Jurist und Reichsgerichtsrat in Leipzig, jüdischer Herkunft, und mit der Tochter des Bonner Historikers Friedrich von Bezold verheiratet. Aus dieser Ehe gingen ein Sohn und zwei Töchter hervor. Franz Neukamp selbst war als Richter am Landgericht und am Amtsgericht in Bielefeld ab 1929 tätig, nachdem er zuvor bereits in Köln als Richter gearbeitet hatte. Er und seine Familie lebten in der Fröbel-Straße 43. Seine juristische Laufbahn endete jedoch frühzeitig, da er infolge einer schweren Lähmung an den Beinen nicht mehr im Richterdienst tätig sein konnte.
Besondere Aufmerksamkeit erlangte das Schreiben des Rechtsanwalts Albert Daltrop vom November 1952. Darin lehnte dieser ausdrücklich ab, Neukamp in einem Verfahren gegen den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Bielefeld, Max Hirschfeld, zu vertreten. Als Begründung führte er an, Neukamp sei ein schwieriger und streitbarer Mandant, der in der Vergangenheit sogar mehrfach Verfahren gegen ihn selbst angestrengt habe. Dieses Dokument macht deutlich, dass es sich nicht um eine gewöhnliche juristische Auseinandersetzung handelte, sondern um einen Konflikt, der tiefer in die gesellschaftlichen und persönlichen Spannungen der Nachkriegszeit hineinreichte.
Die Quellen zeichnen ein widersprüchliches Bild von Franz Neukamp. Einerseits war er klar ein Opfer nationalsozialistischer Verfolgung: Durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurde er am 1. Januar 1934 aus dem Staatsdienst entfernt, seine Kinder wurden von der Gestapo verschleppt, und er selbst war gesundheitlich stark beeinträchtigt. 1949 erkannte ihn die Berufungskammer Detmold offiziell als „rassisch Verfolgten“ an. Andererseits existieren zahlreiche Hinweise, die ihn in einem problematischen Licht erscheinen lassen. Zeugenaussagen berichten von antisemitischen Bemerkungen, Drohungen und dem Versuch, persönliche Vorteile aus der Situation anderer Verfolgter zu ziehen. Wiederholt geriet er in Konflikt mit Leidensgenossen. So warf ihm Max Hirschfeld vor, die Solidarität der Verfolgten zu untergraben. Auch mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) lag er im Streit, die er in polemischen Angriffen beschuldigte, „Gestapomethoden“ anzuwenden.
Damit wird deutlich, dass Neukamp sowohl Opfer massiver NS-Verfolgung als auch streitbarer Akteur der Nachkriegszeit war. Für Juristen wie Albert Daltrop war diese Doppelrolle kaum zu bewältigen, da sich in einer Person das berechtigte Streben nach Anerkennung und Entschädigung mit einem konfliktreichen und anklagenden Verhalten verband.
Der Fall Neukamp verdeutlicht daher über den Einzelfall hinaus die moralischen und sozialen Brüche der Nachkriegszeit. Er zeigt, dass die Aufarbeitung der Vergangenheit kein geradliniger Prozess war und dass die Grenzen zwischen Schuld und Unschuld oft verschwammen. In dieser Perspektive wird sichtbar, dass Gerechtigkeit nach 1945 nicht eindeutig festzulegen war, sondern ein von Konflikten und Spannungen geprägter, immer wieder neu auszuhandelnder Prozess blieb.
Spur aufgenommen und Recherche
Luis Alexander, Lasse Koch, Luis Pörtner
Rudolf Rempel Berufskolleg